Zehner: Die Prophezeihung der Lichtbringer

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Marie besitzt die außergewöhnliche Fähigkeit, sich selbst zu heilen. Als die junge Frau eines Nachts zwischen die Fronten zweier verfeindeter Vampirstämme gerät, ändert sich ihr ganzes Leben. Sie erfährt, dass sie eine geborene Lichtbringerin ist und noch über mächtigere Fähigkeiten verfügt. Sie soll der Schlüssel einer verheißungsvollen Prophezeiung sein, der die Menschheit vor dem Untergang bewahrt. Doch als sie sich nicht wie geplant mit dem Anführer der Lichtbringer vereint, sondern sich in seinen Kämpfer Laurion verliebt, scheint die Prophezeiung in Gefahr...

 

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Leseprobe:

 

Leise fiel der Schnee vom dunklen Nachthimmel herab. In leichten Wirbeln landeten die weißen Flocken auf dem nassen Asphalt und verschmolzen mit der seichten Wasserschicht.

Marie schritt langsam die drei Stufen zur Straße hinunter und vergrub sich dabei noch etwas tiefer in ihren langen schwarzen Wintermantel. Die Kälte kroch ihr bis in die Knochen.

Ihr Blick fiel über ihre Schulter zurück auf das Mehrfamilienhaus, das sie soeben verlassen hatte. Die Haustür fiel mit einem gedämpften Geräusch ins Schloss, dann war es totenstill in der Straße.

Marie spürte den Blick auf sich aus dem rechten Fenster im zweiten Obergeschoss. Er brannte auf ihren Wangen; auf ihren Schultern spürte sie die schwere Last. Doch schaute sie nicht hinauf, erwiderte keinen Blick. Sie schlug die Augen nieder, einen Moment zu unschlüssig darüber, was sie tun würde. Dann atmete sie die stechend kalte Luft tief ein und stieß sie in einer kleinen Kältewolke wieder aus. Den Blick gesenkt, begann sie sich langsam in Bewegung zu setzen. Ihre Beine bewegten sich, trugen ihre Füße über die Straße. Erst der rechte, dann der linke ... ihre Füße gingen von ganz allein, zunächst langsam und dann, als sie die Straßenmitte erreichte, wurden sie immer schneller. So schnell sie gehen konnte, entfernte sie sich von der Wohnung, bog um die nächste Ecke in eine der vielen kleinen Straßen, die im dämmrigen Laternenlicht lagen, und entfernte sich immer weiter. Lange noch spürte sie seinen Blick, auch wenn sie längst außer Sichtweite war.

Er hatte sie verraten. Verkauft. Ihr Leben war wertlos, mehr denn je.

Tränen rannen ihr heiß über das kühle Gesicht, während sie sich immer weiter bewegte. Sie wischte sie fort, jede Träne, die ihr aus den blass türkisfarbenen Augen lief. Sie wollte nichts fühlen. Nicht für ihn. Nicht für das, was er getan hatte. Das war keine Gefühlsregung wert.

Der kleine Bahnhof mit seinen zwei Gleisen lag ruhig da, in dieser Januarnacht. Die Eingangshalle war spärlich beleuchtet, eine der Neonröhren flackerte surrend. Auf dem kleinen Bahnhofsplatz vor der Doppeltür, befand sich eine Standuhr, die stehen geblieben schien. Marie hatte keine Uhr bei sich. Die Türen waren verschlossen. Hier fuhr vor dem Morgengrauen kein Zug. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte, doch bis zum Morgen sollte es noch eine lange und eiskalte Nacht werden. Mit einem Seufzer lehnte sie ihre Stirn gegen die Glastür, nachdem sie vergebens daran gerüttelt hatte. Übelkeit stieg in ihr auf. Gedanken schossen blitzartig durch ihren Kopf, Bilder, so viele Bilder, dass ihr schwindelig wurde. Ihre Knie wurden weich und sie verlor ihre Standkraft.

Sie wusste ohnehin nicht, was sie noch auf den Beinen hielt, wie sie es überhaupt geschafft hatte hier herzulaufen. Doch jetzt versagte ihr Körper ihr den Dienst. Langsam glitt sie, die Hände an die Tür geheftet, am Glas herunter, bis sie vor den Türen kniete und schließlich ganz auf dem Boden zusammensackte. Das eiskalte Nass sog sich von den Pflastersteinen durch den Stoff ihrer Jeans und sofort biss der Frost in ihre angespannte Haut. Marie starrte durch die dunklen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren auf den Boden hinab, und rang nach Luft. Jeder Atemzug fiel ihr schwer und die kalte Luft füllte sich wie kleine Nadelstiche in ihre Lungen. Sie keuchte, der Speichel lief ihr im Mund zusammen und sie hatte das Gefühl jeden Moment würgen zu müssen.

Wieder Bilder, sie flimmerten auf, wie Disco-Licht und schienen sich doch eine Ewigkeit in ihr Gehirn zu brennen, bis sie sie wieder losließen.

Ein verzweifelter Laut drang durch ihre Kehle. Dann schluckte sie und presste sich die Hand vor den Mund.

Ich muss aufstehen. Ich darf jetzt nicht ... es ist vorbei ...

Marie nahm all ihre Kraft zusammen und hangelte sich am Türgriff hoch, bis sie wieder auf ihren Beinen stand. Ein lautes Schluchzen entfuhr ihr, welches sie sofort wieder unterdrückte, erschrocken darüber, wie laut es in der stillen Nacht widerhallte.

Doch da war noch etwas anderes. Es war ihr als hätte sie schwere Schritte gehört. Dicht hinter sich. Sie wagte es kaum sich umzudrehen, um hinter sich zu sehen, wurde dann aber doch von einem panikartigen Instinkt in ihr angeleitet, es zu tun. Und die Erkenntnis darüber, dass sie sich die Schritte nicht eingebildet hatte, durchzuckte sie wie ein Stromschlag. Eine dunkle Gestalt stand kaum fünf Meter von ihr entfernt, das Gesicht in tiefen Schatten seiner Kapuze gehüllt, an den angespannten Armen die Hände zu Fäusten geballt. Wer immer das war, er führte nichts Gutes im Schilde. Er atmete schwer und machte ein widerlich schmatzendes Geräusch, als liefe ihm das Wasser im Mund zusammen.

Maries Augen glitten an ihm vorbei, checkten jeden Winkel der dunklen Straße, jede Fluchtmöglichkeit. Sie konnte weder nach links noch nach rechts ausweichen, beides würde sie in eine Sackgasse führen – entweder gegen die Häuserwand der Bahnhofsgaststätte oder die nahegelegenen Fahrradständer. Sie musste an ihm vorbei, wenn sie nicht hier mit dem Rücken zur Wand abwarten wollte, was geschehen würde.

Er trat einen Schritt weiter vor, und ihr Herzschlag begann sich zu verdreifachen. Sie rannte los. Ohne zu wissen wohin, lief sie in Richtung des Fahrradabstellplatzes, die Schritte ihrer Chucks, hallten in ihrem Schädel, als hätte sie Blei unter den Füßen, die sonst so nahezu unmerklich leise auftraten. Der Mann mit der Kapuze nahm sogleich die Verfolgung auf und ... Herrje, er schien zu lachen, als wäre er amüsiert. Marie machte einen Schlenker um die vereinzelt stehen gebliebenen Fahrräder und wollte am linken Ende einfach den schienbeinhohen Ständer überspringen, um ihren Weg in die nächste Seitenstraße fortzusetzen. Doch im Sprung verhedderte sich ihr Mantel am Lenker des rechts von ihr abgestellten Drahtesels, riss sie für den Bruchteil einer Sekunde zurück, bevor ihr Mantel sich löste, und brachte sie zum Stolpern. Ihr Fuß blieb unerwartet am Stahl des Ständers hängen und brachte sie zu Fall. Ihr Schrei verlor sich im Dunkeln und schon saß er auf ihr, das Knie in ihren Rücken gerammt, sodass sie nicht wieder aufstehen konnte, sich nicht einmal bewegen. Ihre Hände schmerzten, sie hatte sich beim Sturz die Handballen aufgeschürft und auch an den Knien spürte sie etwas. Der Druck auf ihrem Rücken, der sich um ihren gesamten Oberkörper legte und ihr das Atmen erheblich erschwerte, wurde fester. Sie hörte ein lautes Knurren, es klang fast tierähnlich. Als hätte sie ein scharfer Hund niedergeschmettert, um mit seiner Beute zu spielen, bevor er sie verschlang.

Marie war bewegungsunfähig unter ihm. Sie konnte nicht einmal sprechen. Sie schloss ihre Augen und plötzlich wurde sie ganz ruhig, im gleichen Moment, als sie für sich beschlossen hatte, dass sie damit einverstanden war, wenn er sie jetzt umbrachte.

Das Knurren wurde lauter und plötzlich wurde ihr hektisch das Haar zurückgestrichen. Die Angst durchfuhr Marie wie ein Güterzug. Wollte er sie beißen? In den Hals?

Sie spürte den heißen Atem des Mannes, der Kreatur, die tonnenschwer auf ihrem Rücken hockte an ihrem Hals, und wagte keinen Blick auf ihn zu legen.

Wie aus dem Nichts landete plötzlich eine weitere Gestalt in schweren Lederstiefeln direkt vor ihrem Gesicht, als wäre sie aus der Luft im Sturzflug gekommen.

Marie spürte die Erleichterung, als die Kreatur von ihr heruntergerissen wurde. Ihr Retter wirbelte den Angreifer mit einer unwirklichen Leichtigkeit durch die Luft, sodass sie erst einige Meter weiter scheppernd auf der Motorhaube eines alten Fords landete.

„Geh!“, zischte der Kerl ihr kurz angebunden entgegen.

Er trug einen schwarzen bodenlangen Ledermantel, war mindestens 1,80 m groß und hatte schulterlanges dunkles Haar. Lange Strähnen fielen ihm ins Gesicht und bedeckten es, sodass Marie ihm nicht in die Augen sehen konnte.

Wie benommen rappelte sie sich auf und blickte dabei zwischen dem Mann, der sie gerettet hatte und der Kreatur auf der Motorhaube hin und her.

„Was ... was ist …?“, stammelte sie und spürte den Schmerz in ihren Knochen, während sie auf die Beine kam.

„Geh, verdammt noch mal!“, rief der Mann mit bedrohlich tiefer Stimme.

Plötzlich brüllte die Gestalt, die sie angegriffen hatte, laut und bedrohlich auf und es klang nicht nach einem wütenden Raufbold ... viel mehr erinnerte sie dieses nervenerschütternde Geräusch an ... ein Tier. Marie erstarrte, als sie in seine Augen sah, in das verzerrte Gesicht des Angreifers.

Es war nichts Menschliches daran. Er sah aus wie ein Raubtier, das Gesicht zu einer fauchenden Fratze zusammengezogen, die Augen reflektierten wie die einer Katze das Scheinwerferlicht eines vorbeirauschenden Taxis, wobei auch die Sicht auf sein Gesicht für einen kurzen Augenblick der Dunkelheit entrissen und für sie freigegeben wurde. Riesige Fangzähne klafften aus seinem fauchenden Mund und die dicken Augenbrauen waren gefährlich eng über den geblendeten Augen zusammengezogen. Maries eine Gehirnhälfte kreischte „Monster“, die andere Hälfte „Vampir“.

Ihr Blick wanderte kurz zu dem anderen, der ihr befohlen hatte, sich davonzumachen und plötzlich sah sie auch in seinen Augen, die sich hinter dichten Ponysträhnen verbargen, dass sie hell erleuchtet waren, als bestünden sie aus grellen hellblau leuchtenden Glühbirnen. In diesem Moment wurde sie wieder klar, fuhr herum und rannte los.

Sie war in ihrem Leben noch nie so schnell gerannt und blind vor Panik wusste sie auch gar nicht, wohin sie lief. Sie wollte nur möglichst weit weg von diesem Albtraum. Und während sie auf die große Hauptstraße zulief, die sich um diese Nachtzeit einsam und verlassen im fahlen Laternenlicht vor ihr erstreckte, fuhr ihre Hand hektisch an ihren Hals. Sie versuchte, während sie wie der Teufel rannte, die Finger auf ihren Hals zu legen, ihn abzutasten. Sie suchte nach Bisswunden. Er war nicht dazu gekommen, doch die Panik trommelte in ihren Adern und sie wollte auf Nummer sicher gehen. Das Taxi, das eben an ihnen vorbeigefahren war, war an einer nahen Ampelkreuzung zum Stehen gekommen. Als Marie es erblickte, rannte sie geradewegs darauf zu, in der Hoffnung, dass die rote Ampel nicht umspringen würde. Sie war völlig außer Atem, sie keuchte, obwohl sie erst einige Meter gelaufen war, und winkte dem Taxi wild entgegen: „Halt! Warten Sie!“

Da schaltete auch schon die Ampel auf Gelb. Wie in Zeitlupe warf sie ihren Kopf herum, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurde. Sie sah verwackelt die zwei Gestalten, von denen sie sich entfernt hatte in der Dunkelheit ... schweben??? Es sah aus als schwebten sie zwei Meter über der Erde, während sie ihren Kampf weiterführten. Doch bevor sie die Situation genauer betrachten konnte, geriet sie ins Stolpern.

Nein, nein, nicht schon wieder! Nicht jetzt!

Sie taumelte nach vorn, ihr Oberkörper geriet ins Rudern und beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren, konnte es aber im letzten Moment noch wiederfinden. Als sie sich wieder dem Taxi zu wandte, fuhr es bereits an, rollte auf die Kreuzung.

„Nein! Halt! Bitte warten Sie!!“, schrie sie verzweifelt und ihre Stimme hallte von den hohen Gebäuden der Stadtverwaltung wider.

Dann sah sie die Bremslichter, der Fahrer schien sie endlich gehört zu haben.

Gott sei Dank.

Noch 10 Meter bis zur Kreuzung. Sie konnte schon nicht mehr, ihre Füße rannten von allein, obwohl sie keine Kraft mehr hatte.

Plötzlich ertönte ein lauter Knall hinter ihr, echote donnernd durch die Nacht und sie zuckte augenblicklich erschrocken zusammen und hielt sich im Affekt die Arme schützend über den Kopf.

Ein Schuss, der Knall war ein Schuss, wurde ihr mit einem Schlag klar.

Sie war stehen geblieben vor lauter Schreck und drehte sich nun um, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Gebannt starrte sie in die Dunkelheit in Richtung des spärlich beleuchteten Bahnhofsplatzes. Dort, wo eben noch die zwei Männer – waren es überhaupt Männer? – schwebten, konnte sie nichts mehr sehen. Sie waren verschwunden. Vielleicht in die Schatten getaucht?

Reifen quietschten, das Taxi raste davon.

„Nein ...“, brachte sie nur noch flüsternd hervor, als sie dem Auto hinterher sah.

Sie drehte sich wieder zum Bahnhof, um irgendwie die Gefahr auszumachen, in der sie sich befand. Doch sie konnte zum Henker niemanden mehr entdecken. Als hätten sie sich mit dem Schuss in Luft aufgelöst.

Sie stand mitten auf der Straße, keuchend vom Laufen und vor Angst und suchte mit den Augen den Bahnhofsvorplatz ab. Mit dem davongefahrenen Taxi schien ihr plötzlich jede Fluchtmöglichkeit aus dem Gedächtnis gelöscht. Sie stand einfach nur da und konnte nicht begreifen, warum sie nicht weiterlief. Warum sie sich nicht einfach umdrehte und davonrannte.

Egal was gerade eben dort passiert war, sie wurde diese wahnsinnige Angst nicht los, dieses Gefühl, als sei ihr jemand auf den Fersen. Sie waren hinter ihr her. Sie spürte es. Und doch konnte sie nicht weg.

Ihre Füße gehorchten ihr nicht. Ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie stand einfach nur da und schnappte nach Luft.

Erst hörte sie das leise Geräusch, dann sah sie die Scheinwerfer des Wagens, der von dem Parkplatz des Bahnhofs in ihre Richtung gefahren kam.

Ihre inneren Alarmglocken schrillten. Sie sollte jetzt unverzüglich von der Straße runter. Nicht nur, um ihre Flucht wieder aufzunehmen, sondern auch aus dem einfachen Grund um nicht überfahren zu werden. Und vielleicht war das sogar genau das, was der Fahrer vorhatte, der mit einer viel zu hohen Beschleunigung auf sie zugeschossen kam.

Und sie konnte nicht weg!

Es musste eine Art Schock sein. Wie festgewachsen blieben ihre Füße auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn.

Sie starrte auf das Auto, ihr Herz krampfte sich vor Angst zusammen und sie stieß einen kurzen hohen Schrei aus, als der Wagen dicht neben ihr mit einer Vollbremsung zum Stehen kam. Es war ein schwarzer aufgemotzter amerikanischer Wagen – ein Mercury Cougar.

Wenn schon überfahren werden, dann mit Stil.

Der Wagen war so zum Stehen gekommen, dass sie genau auf die Beifahrertür blickte, welche nun aufsprang.

Der Typ, mit dem langen Ledermantel beugte sich vom Fahrersitz herüber und blickte zu ihr hinauf.

Seine Augen ... sie leuchteten nicht mehr.

Aber sie war sich sicher, dass sie es getan hatten. Azurblaue Lichter hatten ihr aus seinem Gesicht entgegen gefunkelt, noch vor zwei Minuten.

„Steig ein!“, sprach er auffordernd.

Selbst wenn Marie es nur in Erwägung gezogen hätte dem nachzukommen, hätte sie es nicht gekonnt.

Sie konnte sich nicht rühren.

„Steig ein, er wird gleich hier sein!“, sagte der Fahrer nun nachdrücklich und blickte mit gehobenen Augenbrauen zu ihr auf.

„Ich ... ich kann nicht ...“, stieß sie hervor, froh darüber mit aller Kraft überhaupt etwas über die Lippen zu bekommen.

Der Fahrer stieß mit einem lauten Raunen die Tür auf seiner Seite auf und stieg aus dem Auto. Seine Schritte klangen schwer und entschlossen auf dem kalten Asphalt.

„Wir haben nicht viel Zeit“, knurrte er, während er um die Motorhaube herum ging und auf sie zu.

Dicht vor ihr blieb er stehen und auf obskure Weise stellte sie fest, wie attraktiv er wirkte. Überhaupt nicht wie ein Irrer, der gerade jemanden erschossen hatte. Oder etwas.

Er fasste ihren rechten Arm unter den Ellenbogen und mit einem Schlag schien sich ihre Starre zu lösen. Als hätte seine Berührung sie befreit.

„Steig ein!“, forderte er sie abermals auf und schob sie auch schon Richtung Auto.

Marie wehrte sich nicht, als er sie in den Beifahrersitz drückte und die Tür zuwarf. Dann ging er wieder auf die andere Seite des Wagens, um selbst einzusteigen.

Kurz bevor er die Tür erreichte, brach ein tosender Donner über sie herein, das Auto wurde durchgeschüttelt, als wäre ein Amboss darauf gefallen.

Wieder entfuhr Marie ein kehliger Schrei, als ihr klar wurde, dass es der andere war, der scheinbar auf das Autodach gesprungen war. Oder war er dort gelandet?

Der Fahrer des Mercurys warf in einer schwindelerregenden Schnelligkeit seinen langen Mantel auf beiden Seiten seines Körpers zurück und zog zwei Schwerter.

Schwerter!

War das hier eine Highlander Hommage?

Sie krallte sich mit der rechten Hand an den Türgriff mit der linken Hand in das Sitzpolster, als der Wagen unter dem Klirren zusammenschlagender Schwerter wieder durchgerüttelt wurde. Offenbar bewegte sich der Vampir auf dem Dach, hatte ebenfalls Waffen zum Kampf gezogen.

Sie fühlte sich eingeengt, gefangen, in der Falle, mit den Fußstampfern über ihrem Kopf und den bedrohlich glitzernden Klingen in der Hand des Fahrers, auf den sie beste Sicht hatte, da er gleich vor der offenen Tür stand.

Marie kniff für eine Sekunde die Augen zusammen und fuhr sich dabei mit der Zunge über ihre trockenen Lippen, in der Hoffnung alles würde sich in Wohlgefallen aufgelöst haben, sobald sie dem Drama wieder ihre Aufmerksamkeit zuwandte.

Mit einem Mal durchzuckte das Auto ein gewaltiger Ruck, als hätte der Vampir sich vom Dach abgestoßen. Maries Augenlider schnellten auf, doch sie konnte auch den Fahrer nicht mehr sehen.

Sie hörte sie kämpfen. Sie knurrten sich an, während ihre Klingen aufeinandertrafen. Die Macht ihres Kampfes schepperte laut durch die Nacht. Doch die Stadt schien menschenleer.

Marie drehte sich nach hinten, um durch die Scheiben hindurch ihre Position ausmachen zu können. Doch sie konnte sie nirgends entdecken. Weder neben, vor, noch hinter dem Auto, obwohl sie eindeutig die Schwerter aufeinanderprallen hörte.

„Das kann nicht sein ...“, flüsterte sie und überlegte, ob sie aus dem Wagen steigen sollte oder ob es doch sicherer war sitzen zu blieben.

Sie tastete nach dem Türöffner an der Beifahrertür, und als sie ihren Kopf drehte, um zu sehen, wo er sich befand, streifte ihr Blick den Außenspiegel an ihrer Tür. Für einen Sekundenbruchteil nahm sie wahr, was draußen geschah und hielt sofort inne.

Sie schwebten. Sie schwebten im Kampf. Sie hatte richtig gesehen. Vorhin als sie davongelaufen war, und jetzt. Kein Zweifel. Sie konnte sich nicht irren. Dies waren Vampire!

Einer von beiden wurde gegen die hintere Seite des Wagens geschleudert, nur knapp neben ihrer Tür und Marie beschloss sogleich, dass sie erst einmal sitzen bleiben sollte.

Im Rückspiegel konnte sie nichts sehen, sie waren zu dicht gekommen, der lange Mantel des Fahrers füllte den kleinen Spiegel aus.

Ein lautes gequältes Stöhnen ertönte. Marie konnte nicht ausmachen welcher von beiden diesen Laut von sich gegeben hatte. Als sie sich auf dem Sitz umdrehen wollte, um einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen, wurde sie plötzlich von einem gleißenden Licht geblendet. Ihre Augen kniffen sich automatisch zusammen und sie hob die Hand vor die Augen, um sie vor dem grellen Licht und der ausgehenden Hitze zu schützen.

Hitze ... wieso war es plötzlich so heiß?

Wieder durchfuhr die Angst sie, sie nahm die Hand weg und versuchte durch kleine geschlitzte Augen etwas zu erkennen, was jedoch unmöglich schien.

Die Fahrertür wurde aufgerissen und jemand lies sich neben sie auf den Sitz gleiten.

Ihre Augen waren überfordert, sie konnte nicht sofort erkennen, wer von beiden es war, doch sie hoffte aus irgendeinem Grund, dass es der Besitzer des Mercurys war und nicht der andere, der sie angefallen hatte.

„Sieh nicht hin“, sagte er trocken, knallte die Tür zu und raste los. Er war es, sie erkannte seine Stimme.

Marie wurde durch die plötzliche Beschleunigung in den Sitz gedrückt. Ihr Blick wanderte automatisch in den Rückspiegel auf ihrer Seite, um zu sehen, wovon sie sich gerade unglaublich schnell entfernten.

Er brannte. Er brannte lichterloh. Er stand in Flammen, mitten auf der Straße. Stand aufrecht auf der Straße, bewegte sich nicht und stand in Flammen.

„Oh mein Gott!“, stieß sie entsetzt hervor und fuhr herum, um sich das Ganze durch die Heckscheibe anzusehen.

Doch der Fahrer lenkte den amerikanischen Flitzer auch schon scharf links in eine Seitenstraße.

Marie fiel ihm fast in die Arme, während er lässig die Kurve lenkte, dann prallte sie zurück in ihren Sitz.

Ihr Atem ging wieder schneller, sie keuchte und starrte ihn nun unvermittelt an.

Nun bemerkte sie das Glühen seiner Augen. Es war wieder da. Die eisblauen Lichter waren wieder eingeschaltet, waren jedoch gerade dabei sich zu verdunkeln. Als würden sie langsam gelöscht.

Er drehte sein Gesicht ein wenig von ihr weg, als wollte er nicht von ihr angesehen werden und starrte angestrengt auf die Straße hinaus.

Die dunklen Ponysträhnen fielen ihm bis unter die Wangenknochen, an denen sich weiter herunter sein Dreitagebart abzeichnete. Er roch nach Rauch und Moschus.

Marie schluckte, es fiel ihr so schwer als müsste sie eine ganze Froschfamilie herunter schlucken.

Doch es war nötig, um überhaupt ihrer zusammengezogenen Kehle einen Laut zu entlocken.

Er strahlte Tod und Wut aus. Und noch etwas anderes.

„Wohin bringen Sie mich?“, fragte sie ihn mit zitternder Stimme und ihr Flüstern übertönte nur schwer das röhrende Motorengeräusch des rasenden Wagens.

Er antwortete ihr nicht.

Marie spürte die Hitze noch in ihrem Gesicht. Die Hitze, das Feuer.

Er brannte. Er hatte da gestanden, regungslos, und gebrannt.

Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

„Er war schon tot“, sprach er nun ruhig, als hätte er ihre Gedanken verfolgen können.

„Was?“, keuchte sie.

„Als er entzündet ist, war er bereits tot ...“, knurrte der Fahrer.

Entzündet.

Marie starrte ihn fragend an.

Nun drehte er langsam sein Gesicht wieder zu ihr, seine Augen blau wie ein Bergsee, ruhten auf ihr, wie die Unschuld höchstpersönlich.

„Warum war er hinter dir her?“, fragte er sie.

Maries Hand fuhr an ihren Hals, tastet wieder nach der Stelle, die er anvisiert hatte ... in die er seine unglaublichen Fangzähne hatte schlagen wollen.

„Er ... er wollte ... mich beißen“, stammelte sie verwirrt.

„Er hat dir nichts getan. Er wird niemanden mehr etwas tun“, versicherte er, blickte auf die Straße und fuhr wieder scharf in eine Kurve.

Marie wurde wieder etwas hin und her geruckelt und krallte ihre Finger verkrampft in den Sitz.

Mit einem Mal bewegte sich wie von Geisterhand ihr Sicherheitsgurt und legte sich um sie. Mit einem Klick rastete der Gurt ein und sie war angeschnallt.

„Was ...“, Marie beobachtete das Geschehen entsetzt.

„Es ist sicherer so“, bekam sie zur Antwort, ohne eines Blickes gewürdigt zu werden.

„Wer sind Sie? Was sind Sie? Wohin bringen Sie mich?“, schoss es aus ihr heraus. Aus ihrer Verzweiflung und Verwirrung wurde Wut.

„Das sind viele Fragen auf einmal“, erwiderte er mit einem leichten Lächeln auf seinem schmalen aber sinnlichen Lippen.

Marie schnaubte verächtlich durch die Nase und wusste nicht, was sie ihm als Erstes an den Kopf schleudern sollte.

Als er ihre Wut bemerkte, schien er amüsiert. Doch er beherrschte sich offensichtlich zu einem ernsten Gesichtsausdruck, als er sie wieder anblickte: „Ich bin Laurion. Wir fahren an einen sicheren Ort.“

„Und meinen Sie mit sicherem Ort eine Fledermaushöhle oder ein Polizeirevier?!“, entfuhr es ihr aufgeregt.

Er stieß ein kurzes Lachen aus und streifte sie dann mit einem scharfen Blick.

„Weder noch, Marie“, murmelte er dann, den Blick wieder auf die dunkle Straße geheftet.

Woher kannte er ihren Namen?

Sie hatte diesen Mann noch nie in ihrem Leben gesehen. Dessen war sie sich sicher.

„Wer sind Sie?“, flüsterte sie ängstlich.

Ihre Gefühle änderten sich von einer Sekunde in die andere. Sie wusste nicht, was sie von dem ganzen Geschehnis halten sollte.

„Ich bin einer von den Guten“, entgegnete er knapp und streckte seine Hand nach ihr aus.

Er legte für einen Augenblick seine Hand auf ihren Arm, der noch immer angespannt war, da ihre Hand sich mit aller Kraft am Sitz festhielt.

Plötzlich schienen all ihre Emotionen ausgeblasen. Als hätte er ihr mit einem Mal die Angst genommen, die Wut, die Verwirrung. Sie fühlte sich nicht benommen, aber auch nicht klar. Sie fühlte nichts. Hätte sie etwas fühlen können, wäre sie erschrocken darüber gewesen.

Ihre Hände lockerten sich und sie legte sie entspannt in ihren Schoß. Als er langsam seine Hand wieder zurück ans Steuer legte, beobachtete sie es mit ruhigem Blick.

„Warum kennst du meinen Namen?“, fragte sie monoton, nicht mehr fähig in ihre Stimme einen Klang zu legen.

„Jeder von uns kennt deinen Namen. Du bist die Auserwählte“, antwortete er nüchtern.

„Auserwählte?“, wiederholte sie ruhig.

„Es wird dir bald alles erklärt. Wir sind gleich da“, sprach er.

Marie nahm die Antwort so hin und richtete ihren Blick auf die Straße. Sie verlor sich in den vorbei rauschenden Straßenmarkierungen. Ihr Atem wurde ruhig und beständig.

„Du hast dich verletzt“, bemerkte er, und deutete mit den Augen auf die Abschürfungen an ihren Handballen.

Marie folgte seinem Blick auf ihre Hände und konnte sich an den schmerzhaften Sturz erinnern, bei dem es passiert war. Sie machte sich jedoch keine Sorgen – selbst wenn sie wollte, hätte sie es nun nicht gekonnt.

„Verletzungen heilen bei mir immer recht schnell“, antwortete sie ihm und bemerkte, wie stumpf es klang.

„Ja“, entgegnete er und lächelte.

Sie hätte ihn gefragt, wie sie das deuten sollte – wenn es sie interessiert hätte.

Doch alles war ihr Einerlei.

Laurion fuhr den Wagen durch ein kleines Waldstück, nicht weit von der Stadt entfernt und Marie verlor bald die Orientierung. Sie bogen auf einen kleinen Feldweg, und wenn er ihr die Emotionen nicht genommen hätte, wäre ihr spätestens jetzt äußerst mulmig zumute geworden. Der Wagen bretterte mit hoher Geschwindigkeit durch den schmalen, von dunklen Bäumen gesäumten Weg. Die Scheibenwischer schoben sich auf Hochtouren von links nach rechts, da der Schneefall heftiger geworden schien. Und aufgrund des Schneetreibens war die Sichtweite sehr beschränkt. Laurion schien das jedoch nichts auszumachen, er lenkte den Wagen mit souveräner Sicherheit durch die schmalen Kurven des endlos scheinenden Pfads.

Als er die Geschwindigkeit verlangsamte, bemerkte sie, wie er seinen Blick wieder auf sie legte. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und sah ihm in die Augen. Erwartungslos.

,Wie ein Roboter.´ dachte sie.

Sie blickten wieder nach vorn, der Wagen rollte aus und kam zum Stehen. Sie passierten ein großes gusseisernes Tor, das sich bei ihrer Ankunft automatisch geöffnet hatte und hinter ihnen wieder schloss.

Laurion fuhr den Wagen auf ein großes Anwesen, zu ihrer linken und rechten erstreckten sich große Rasenflächen, mit sauber geschnittenen Hecken und raffiniert angelegten Blumenbeeten, die selbst zu dieser Jahreszeit äußerst gepflegt und blühend erschienen. Alles war mit einer leichten Schneeschicht bedeckt. Der Wagen rollte lange auf dem breiten Kiesweg, bis Marie das große altertümliche Herrenhaus sah, das vor ihnen im Schneegestöber auftauchte. In einigen Fenstern leuchtete sanftes Licht. Der Eingangsbereich war mit einer seichten Außenbeleuchtung erhellt. Laurion nickte Marie kurz zu, während er das Auto parkte, und stieg dann aus dem Wagen. Bevor sie reagieren konnte, stand er auch schon draußen vor ihrer Tür, um sie für sie zu öffnen.

Er reichte ihr die Hand und, als sie diese ergriff, zog er sie sanft aus dem tiefen Sitz.

Mit seiner Berührung kehrten schlagartig alle Gefühle in sie zurück.

Sie spürte, dass seine Finger kalt auf ihrem Handgelenk lagen und sie nicht länger als nötig hielten. Er wich ihrem Blick aus, als wüsste er genau, was sie gerade durchfuhr.

Ihr war kalt, sie begann am ganzen Körper zu zittern, sie hatte Angst und war schockiert und verwirrt über das, was sie erlebt hatte.

Laurion schloss die Beifahrertür und bedeutete ihr, ihm zu folgen, während er auf die große Eingangspforte zu schritt. Marie starrte ihm ungläubig hinterher.

Wie konnte er nur annehmen, dass sie einen Schritt tun würde?

„Wo sind wir hier? Was ist hier los?“, fragte sie ihn und verschränkte die Arme.

Er blieb vor den Stufen, die zur Tür herauf führten, stehen und drehte sich zu ihr um.

„Wir sind an einem sicheren Ort. Komm jetzt“, seine Stimme war bestimmend und beruhigend gleichermaßen.

„Ich hab Angst“, flüsterte sie und spürte Tränen in sich aufsteigen.

Sie kniff die Augen zusammen, um sie zu unterdrücken. Als sie sie wieder öffnete, stand Laurion dicht vor ihr und betrachtete sie an teilnehmend.

„Hab keine Angst ... jetzt wird alles gut“, flüsterte er zurück und hob die Hand, um ihre Wange zu berühren.

Doch Marie zuckte erschrocken zurück: „Nicht!“

„Ich nehme dir den Schmerz“, erklärte er, die Hand noch immer in die Luft gestreckt, bereit sie zu berühren.

Sie schüttelte entschlossen den Kopf. Er sah sie erstaunt an: „Aber es fühlt sich nicht gut an.“

„Es fühlt sich auch nicht gut an nichts zu fühlen“, entgegnete sie leise und rieb sich die Augen.

„Deine Hände ...“, sagte er und sie folgte seinem Blick.

Die Abschürfungen waren verschwunden. Als wäre nichts geschehen.

Das war das Einzige, über das sie an diesem Abend nicht erschrocken war. Denn diese Körperreaktion war ihr vertraut. Laurion umfasste ihre linke Hand am Handgelenk und drehte sie mit der Handfläche nach oben, um sie genauer zu betrachten. Seine Augen wanderten von ihrer Hand zu ihrem Gesicht hinauf, sahen sie unverwandt an.

Marie konnte sich nicht erklären. Aber das musste sie auch nicht.

„Komm“, wiederholte er und seine kalte Hand glitt langsam von ihrer Haut.

Sie nickte, sie hatte keine andere Wahl. Sie spürte leicht seine schützende Hand in ihrem Kreuz, als sie neben ihm her schritt.

Laurion öffnete die schwere Eichendoppeltür und sofort schlug ihnen ein Schwall würziger, warmer Luft entgegen. Marie ließ sich von der Wärme herein ziehen in die spärlich von Kerzenleuchtern erhellte Eingangshalle.

Ihre Schritte hallten auf dem glänzenden Marmorboden und ein geräuschvolles Echo verkündete ihre Ankunft, als die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.

Der Raum war beeindruckend. Kerzenleuchter hingen an der hohen Decke, große golden umrahmte Gemälde hingen an den dunkel holzvertäfelten Wänden. Am Ende der Halle schwang sich eine prachtvolle Wendelholztreppe in den ersten Stock hinauf.

Er führte sie an der Treppe vorbei durch eine große offen stehende Doppeltür im hinteren Bereich der Halle. Sie betraten einen großen Raum. Er hatte hohe geschwungene Fenster, die mit teuersten bordeauxroten Vorhängen verziert waren, auf der gegenüberliegenden Seite war ein prunkvoller Kamin in die Wand eingelassen, in dem ein wärmendes Feuer knisterte. Der Marmorboden war mit alten wertvollen Teppichen belegt. Offensichtlich befanden sie sich in einer Art Arbeitszimmer, denn der Rest der Wände war mit hohen Bücherregalen bedeckt. Am Ende des Raumes stand lediglich ein schwerer jahrhundertealter Schreibtisch, vor dem zwei moderne Ledersessel standen – offensichtlich für Besucher, denn hinter dem Schreibtisch saß jemand und sah sie erwartungsvoll an, als sie auf ihn zu traten.

Maries Gang verlangsamte sich, als sie die dunkelgrünen Augen sah, die sie von oben bis unten abtasteten. Die dunkle Gestalt, die auf dem Stuhl hinter dem Tisch saß, strahlte Macht und Gefahr aus. Sie spürte es, es lag greifbar in der Luft.

Laurion schob sie sanft voran, bis sie in der Mitte des Raumes zum Stehen kamen. Marie suchte ängstlich nach seinem vertrauten Blick, als der Mann vom Schreibtisch aufstand und langsam und machtvoll auf sie zukam.

Laurion nickte ihr schweigend zu. Ihr war als strich er ihr ermutigend über den Rücken, bevor er seine Hand von ihr zurückzog.

„Marie“, sprach der Mann, der nun vor ihr zum Stehen kam. Er überragte sie, war etwa 1,90 Meter groß und sah majestätisch zu ihr herunter. Sie spürte die Kälte, die von ihm ausging.

Sie brachte kein Wort hervor.

Er nahm ihre Hand und hob sie, um ihr einen Kuss auf den Handrücken zu geben. Doch Marie zog sie zurück, bevor sein Mund ihre Haut berühren konnte.

Er zog die Augenbrauen hoch und ließ ihre Hand aus seiner gleiten.

„Ich wollte mich nur vorstellen, wenn Ihr erlaubt. Nennt mich Iltras“, sprach seine tiefe Stimme, die ihr durch Mark und Bein ging.

Sie deutete ein schwaches Nicken an.

„Wir sind sehr erfreut, Euch bei uns begrüßen zu können. Fühlt Euch wie zu Hause auf meinem Anwesen. Laurion wird Euch Eure Gemächer zeigen. Ich erwarte Euch morgen Abend zum Essen, dann können wir alles Weitere besprechen“, fügte er nun hinzu.

„Morgen Abend? Wieso glauben Sie, dass ich so lange bleiben werde?“, erwiderte sie umgehend und ihre eigene Courage erschrak sie.

Iltras blasse Lippen zogen sich zu einem Lächeln und er blickte sie einige Sekunden an, bevor er ihr endlich Antwort gab: „Nun ... Ihr habt keine andere Wahl, fürchte ich. Euch wird nicht entgangen sein, dass man Euch nach dem Leben trachtet. Und hier seid Ihr sicher.“

Marie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch als er seinen Blick fest auf sie richtete, verlor sie ihre Gedanken.

Es hatte ihr eben noch auf der Zunge gelegen. Ein Einwand, sie wusste es genau. Doch die Worte waren weg.

Iltras schritt an ihre Seite, betrachtete sie interessiert und wich dann langsam zurück: „Laurion wird all Eure Wünsche erfüllen. Entschuldigt mich nun, ich habe noch etwas zu erledigen.“

Laurion und Iltras nickten sich gegenseitig zu, dann entfernte Iltras sich und seine spürbare Macht aus dem Raum.

Marie schnappte nach Luft, als er fort war.

„Er ... er hat mich ...“, stammelte sie.

Laurion schien zu wissen, was passiert war.

„Iltras duldet keine Widerworte“, erklärte er.

Marie schob sich nachdenklich eine ihrer langen schwarzen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren, hinter das Ohr: „Er hat mir einfach meine Gedanken genommen!“

Sie sah zu der Tür, aus der er gegangen war, und drehte sich dann zu Laurion um. Er sah auf ihren Hals. Sofort schnellte ihre Hand hinauf, legte sich schützend um die freie Stelle, die er betrachtet hatte.

Laurion schmunzelte.

Sie sah ihn unsicher an: „Was soll das hier alles? War das die Erklärung, die du mir versprochen hast?“

„Nein. Offensichtlich war Iltras nicht in der Stimmung für Erklärungen. Komm, ich bringe dich in deine Gemächer. Dort kannst du dich frisch machen“, erwiderte er.

„Nein. Ich ... hatte nicht vor, zu bleiben“, stieß sie widerwillig hervor.

Laurion kratzte sich kurz unter seinem kantigen Kinn den drei Tage Bart und fragte dann: „Hmm... und wo wirst du bleiben, wenn nicht hier?“

Marie wollte ihm antworten, doch dann wurde ihr klar, dass sie keine Antwort darauf wusste.

Sie sah ihn schweigend an.

„Vertrau mir. Es wird dir nichts geschehen“, sprach er nun.

Sie ließ ihren Atem schwer entweichen und nickte dann.

Bohdan knallte mit Kraft seines Willens die Tür schwer hinter sich ins Schloss und sein Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes verheißen. Die Sohlen seiner eleganten Halbstiefel hallten auf dem edlen Steinboden, während er entschlossen auf seinen Untertan zu ging.

Bohdans schulterlanges rabenschwarzes Haar war ordentlich zurückgekämmt, die langen Strähnen hinter die Ohren gestrichen. Umso deutlicher wurde das wütende Leuchten seiner königsblauen Augen sichtbar.

„Du bringst keine guten Nachrichten, denn wie ich sehe, bist du allein. Wo ist Duncan?“, fragte er und blieb vor dem leger gekleideten Mann stehen.

Symar blickte untergeben zu Boden, ein Augenkontakt mit seinem Meister konnte tödlich für ihn enden, gerade jetzt, wo er vor Wut kochte.

„Duncan ist tot, Herr. Er war unvorsichtig“, gab Symar zurück.

Bohdan strahlte eine wütende Hitze aus, das Leuchten seiner Augen verstärkte sich.

„Was ist passiert?“, knurrte er und starrte seinen Söldner an.

Symar war mit seinen 1,70 Metern zwei Köpfe kleiner als der Obervampir, doch das war nicht allein der Grund für seine Ehrfurcht. Bohdan war einer der mächtigsten Vampire seiner Zeit, er war Hunderte von Jahren alt, was ihn zu einer unsagbaren Macht verhalf. Allein mit Kraft seines Willens konnte er Symar für immer ins Jenseits schicken, in dem er ihm die Luft zum Atmen nahm, die Symar wie jeder andere Vampir genauso brauchte wie Blut, um zu überleben. Bohdan hatte ihn erschaffen, vor 20 Jahren. Somit war Symar einer der jüngsten Vampire in Bohdans Garde und doch einer seiner Vertrautesten. Symar war seinem Meister treu ergeben.

Nur wenige der Söldner waren durch Bohdans Blut zu Vampiren geworden. Die meisten von ihnen waren durch Symar und Duncan erschaffen. Die beiden engsten Vertrauten des einflussreichen Vampirs.

Und somit waren Symar und Duncan nach Bohdan auch die Mächtigsten der Truppe, die Bohdan um sich schürte.

Sie verfügten über ausgeprägte mentale Kräfte, mit denen sie ihre Opfer bewegungsunfähig und willenlos machen konnten. Außerdem waren sie, wie alle Vampire, in der Lage sich mit übernatürlicher Geschwindigkeit zu bewegen. Ihre enorme körperliche Stärke verlieh ihnen einen großen Vorteil bei der Jagd nach dem überlebenswichtigen Blut. Sie nahmen es von den Menschen, und jene, die ihnen würdig erschienen, stellten sie vor die Wahl sich ihnen anzuschließen. Doch viele der Menschen, die sich für ein Vampir-Dasein entschlossen hatten, bereuten es bald. Denn als Vampir waren sie zwar mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, jedoch mussten sie in der Dunkelheit leben, da die UV-Strahlen der Sonne tödlich für sie waren. Für die Ältesten genauso wie für die Neugeborenen.

Viele der neu erschafften Vampire verfielen nach einiger Zeit in Depressionen, weil sie an das Blutvergießen und die ewige Dunkelheit nicht gewöhnt waren. Es kam in vielen Fällen zur Selbstrichtung, was die Garde Bohdans schwächte.

Duncans Tod bedeutete einen großen Verlust für sie. Symar war sich dessen genauso bewusst wie Bohdan.

„Wir fanden die Auserwählte. Sie streifte durch die Nacht. Duncan griff sie gegen meinen Rat an. Ich witterte einen der Lichtbringer. Doch Duncan glaubte wir sind schnell genug“, berichtete Symar nun und fuhr sich mit der Hand über sein kurzes braunes Haar.

Bohdan wartete auf das Ende der Geschichte.

Symar fuhr fort: „Er hat mich sofort außer Gefecht gesetzt. Er war stark und arbeitete mit einer Berührung. Duncan wurde im Kampf getötet, er hat ihn nach der Enthauptung entflammt. Der Lichtbringer hat die Auserwählte mit sich genommen. Erst als sie schon lange fort waren, lösten sich seine Fesseln und ich konnte mich wieder bewegen. Ich konnte die Witterung nicht mehr aufnehmen.“

„Sie sind dir entkommen“, fasste Bohdan anschuldigend zusammen.

Symar nickte schuldbewusst: „Ja, Herr.“

Bohdan machte auf dem Absatz kehrt und begann in dem großen Raum auf und abzugehen.

„Die Auserwählte ist also nun unter uns ...“, murmelte er.

Er zog nachdenklich die dunklen Augenbrauen zusammen und schwieg, während er weiter auf und ab ging.

Symar beobachtete ihn vorsichtig.

„Wir müssen sie bekommen, um jeden Preis“, knurrte Bohdan, als er sich seines Plans sicher war.

Im ersten Stock des Herrenhauses hatte Laurion Marie durch eine der vielen Türen geführt und ihr ihr neues Quartier zugesprochen. Es war ein geräumiges Zimmer, geschmackvoll eingerichtet im modernen Stil, jedoch ohne jegliche persönliche Note. Im Wandschrank stand eine große Auswahl an Kleidern für sie zur Verfügung, wie ihr mitgeteilt wurde, und im angrenzenden Zimmer befand sich ihr persönliches Bad.

Marie nutzte die Gelegenheit und nahm eine lange heiße Dusche.

Als sie mit einem Handtuch umwickelt aus dem Bad kam, ging gerade die Tür auf und eine Frau erschien mit einem Essenstablett in den Händen. Sie trug einen schwarzen Kapuzenpullover und dunkelblaue Jeans und im starken Kontrast dazu hatte sie hellblondes langes Haar, das ihr strähnig über die Schultern fiel. Ihr Gesicht war bezaubernd hübsch und ihr Ausdruck wirkte herzlich.

„Hey,“, lächelte sie Marie entgegen, „ich bin Emma.“

„Hi“, erwiderte Marie zurückhaltend und hielt sich an ihrem Handtuch fest.

„Ich bringe dir etwas zu essen. Sicher bist du hungrig“, sagte sie, lächelte strahlend und stellte das Tablett mit dem duftenden Essen auf den Nachttisch neben das Bett.

„Danke. Das ist wirklich nett. Ich bin Marie“, antwortete sie und kam zu ihr herüber.

„Hast du was zum Anziehen gefunden?“, Emma deutete auf den Wandschrank.

„Ähm ... nein, noch nicht“, lächelte Marie verlegen.

„Etwas Lässiges sollte reichen für heute Nacht“, fand Emma, ging wie selbstverständlich zum Schrank herüber und suchte ihr etwas heraus.

Marie war ihr dankbar dafür.

„Nun ... jetzt solltest du eine Kleinigkeit essen und danach etwas schlafen. Wenn irgendwas ist – Laurion und ich wohnen gleich gegenüber. Du kannst zu jeder Zeit anklopfen“, erklärte Emma.

„Oh... du bist Laurions...“

„Ich bin seine Gefährtin“, nickte Emma.

Marie konnte sich die beiden gut zusammen vorstellen. Nur die Tatsache, dass Emma ihr nicht wie ein Vampir vorkam, fand sie erstaunlich. Zumindest glaubte sie es, da Emma bei Weitem nicht so blass war, wie er.

„Gute Nacht“, wünschte Emma, während sie die Tür öffnete.

„Gute Nacht, Emma. Vielen Dank“, lächelte Marie ehrlich.

Als Emma gegangen war, hörte Marie wie sich die Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs öffnete und wieder schloss. Und dann wie sie sich kurz mit jemanden unterhielt – die zweite Stimme war unverkennbar Laurions.

Irgendwie fühlte sie sich sicher, wenn sie ihn in der Nähe wusste.

Marie schlüpfte in die lässigen Sachen, die sie ihr herausgesucht hatte, und nahm einen Happen zu sich. Dann legte sie sich auf das große Bett und, obwohl ihr unendlich viele Gedanken durch den Kopf gingen, schlief sie schon bald darauf ein.

Als Marie die Augen aufschlug, spürte sie eine beruhigende Wärme auf ihrem Gesicht. Sie vermutete von der Sonne geblendet zu werden, doch die Jalousien waren geschlossen. Das Zimmer war in warmes Kerzenlicht gehüllt. Auf einem Stuhl neben ihrem Bett saß Laurion und betrachtete sie.

Sie rieb sich die Augen und richtete sich dann im Bett auf: „Wie spät ist es?“

„Es ist Mittag. Ich komme, um dich abzuholen“, erklärte er ruhig.

Er war es, der sie wärmte.

Sie hielt sich die Decke über den Schlafanzug, als wäre sie nackt und lächelte verlegen.

„Ich... ähm... deine Gefährtin ist wirklich nett“, brach sie nun hervor.

Laurion nickte: „Zieh dich an. Ich hole dich in 20 Minuten ab.“

Damit stand er vom Stuhl auf und steuerte auf die Tür zu.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie verwirrt, noch nicht richtig wach.

„Trainieren“, war seine Antwort, dann verließ er das Zimmer, bevor sie weitere Fragen stellen konnte.

Marie erwartete ihn schon, als er an die Tür klopfte, um sie abzuholen. Sie hatte sich nur kurz unter die Dusche gestellt und war in eine Jeans und einen Sweater aus dem Wandschrank geschlüpft. Ihr langes schwarzes Haar war noch feucht, sie hatte es nur mit einem Handtuch frottiert.

Laurion bemerkte es gleich: „Dein Haar ist noch nass.“

„Nun, du hast mir keine Zeit gelassen es zu trocknen“, war ihre Antwort. Beinahe etwas zu keck für ihre Situation, doch sie bemerkte, dass er geneigt war zu schmunzeln.

„Komm“, sagte er und ging den langen, abgedunkelten Flur über den dunkelroten Teppichboden entlang.

Er brachte sie über eine Hintertreppe in ein Kellergeschoss, was jedoch nicht weniger wohnlich als der Rest des riesigen Anwesens aussah. Sie folgte ihm in einen großen Saal, der mittelalterlich eingerichtet war. In der Wand war ein großer Kamin eingelassen, in dem ein gemütliches Feuer brannte und den Raum mit Wärme füllte.

Mitten im Raum stand eine große Tafel, an der sicherlich rund 60 Personen Platz hatten. Doch sie waren allein im Raum und gedeckt war für zwei.

„Bitte“, er bedeutete ihr Platz zu nehmen und Marie wählte einen der Sitzplätze am Anfang der Tafel.

Auf dem Speiseteller dufteten Reis und Hähnchenkeulen, neben den Tellern standen Wein- und Wassergläser, die sie nach Bedarf aus den hoch gefüllten Karaffen füllen konnten.

Laurion rückte ihr den Stuhl zurecht, als sie sich darauf setzte, und nahm dann selbst ihr gegenüber Platz.

„Wer kocht hier eigentlich so toll?“, lächelte sie, während sie feststellte, dass ihr Magen schon wieder knurrte.

„Greif zu“, nickte Laurion, während er seinen Teller nicht anrührte, sondern ihnen beiden erst mal Wasser einschenkte.

Marie begann zu essen.

Laurion drehte das Wasserglas in seiner Hand und beobachtete sie schweigend.

„Hast du keinen Hunger?“, fragte sie ihn neugierig.

„Nein“, erwiderte er nur.

„Schade drum“, lächelte sie, versuchte ihn ebenfalls zum Lächeln zu animieren, doch er blieb ernst.

„Also, was hast du gestern damit gemeint ... mit dieser auserwählten Sache?“, fragte sie mit halb vollem Mund und spülte dann den Rest mit einem Schluck Wasser herunter.

„Du hast deine Verletzungen selbst geheilt heute Nacht“, entgegnete er und blickte sie erwartungsvoll an.

Marie war diese Aussage sichtlich unangenehm, sie wich seinem Blick aus und nickte dann zögernd.

„Das hast du schon öfter gemacht“, stellte er fest, ohne sie fragen zu müssen.

„Ja“, erwiderte sie etwas erstickt und stocherte mit der Gabel in ihrem Reis herum.

„Kostet es dich viel Kraft?“, fragte er sie.

Nun sah sie wieder zu ihm auf, fühlte sich irgendwie ertappt.

„Manchmal ... bin ich sehr erschöpft danach“, gab sie nun zu und schob sich etwas Reis in den Mund. Doch nun fielen ihr das Kauen und das Schlucken schwer ... als hätte sie einen dicken Kloß im Hals.

„Hast du noch andere Fähigkeiten?“, fragte er sie direkt.

Marie zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen: „Andere Fähigkeiten? Was meinst du?“

Sie kam sich ohnehin schon vor wie ein Freak.

,Ich meine Telepathie.´

Marie starrte ihn etwas erschrocken an. Sie hatte ganz deutlich seine Stimme gehört, doch er hatte seine Lippen nicht bewegt. Er hatte es ihr direkt in den Kopf gesendet. Und sie hatte ihn klar und deutlich verstanden.

Laurions Augen lagen ruhig auf ihr und sie spürte wieder die Wärme.

„Ich ... ich … nein, keine Ahnung“, stammelte sie.

,Sprich mit mir. Versuch es.´

Sie hörte ihn in ihrem Kopf. Ganz sanft und vertraut, als hätte sie ihn schon immer gekannt.

„Ich weiß nicht wie ...“, dachte sie und sah in erwartungsvoll an. Doch er konnte ihre Gedanken nicht lesen.

,Konzentrier dich Marie. Auf mich. Darauf, dass ich höre, was du mir sagen willst.´

Marie schloss ihre Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Und das fiel ihr nicht leicht, ihr ging so viel durch den Kopf. Also beschloss sie einfach, ihm ihre Gedanken mitzuteilen.

,Bin ich ein Vampir?´ fragte sie gedanklich.

Als keine Antwort von ihm kam, öffnete sie die Augen wieder und lächelte ihn etwas enttäuscht an.

Laurions Blick blieb ernst, er antwortete: „Nein.“

Nun war sie erstaunt. Er hatte sie also doch gehört.

„Wie ... wie hab ich das gemacht?“, fragte sie.

„Man nennt uns Lichtbringer“, sprach er nun und stand vom Stuhl auf.

Er ging langsam und mit schweren Schritten auf das Kaminfeuer zu und blickte ernst dort hinein. Er wirkte fast etwas melancholisch.

Sie stand ebenfalls auf und folgte ihm, blieb jedoch mit etwas Abstand hinter ihm stehen: „Lichtbringer? Was bedeutet das?“

„Es gibt nur noch wenige von uns. Du bist die Letzte weiblichen Geschlechts, deren beide Elternteile Lichtbringer waren. Darum bist du die Auserwählte. Du hast eine große geschichtliche Bedeutung. Du wirst alles verändern“, sprach er leise.

Doch Marie schüttelte den Kopf. Er musste sich irren.

„Vielleicht ist dir ein Fehler unterlaufen ... ich war nur zufällig da ... letzte Nacht ... ich bin nicht das, wofür du mich hältst! Meine Eltern kenne ich nicht einmal. Sie haben mich verlassen, als ich ein Kind war. Ich bin bei Pflegeeltern aufgewachsen“, erklärte sie ihm.

Und die waren alles andere als Lichtbringer, dachte sie in sich hinein.

„Es war nicht sicher für dich in ihrer Obhut. Man trachtet dir nach dem Leben ... schon seit deiner Geburt“, sagte er und blickte kurz über seine Schulter zu ihr zurück.

„Wer? Und weshalb? Und wie kannst du sichergehen, dass ich diejenige bin, von der du sprichst?“, stellte sie infrage.

„Du heilst dich, du kannst mit mir telepathisch kommunizieren ... und ich bin sicher du trägst auch das Mal“, entgegnete er.

„Mal?“, fragte sie trocken, doch sie wusste genau, wovon er sprach.

Sie hatte eine Narbe an ihrem rechten Bein über dem Fußknöchel. Ein Halbkreis mit drei parallelen Strichen darunter. So oft schon hatte sie mit ihren Selbstheilungskräften herumexperimentiert, doch nie hatte sie diese Narbe verschwinden lassen können.

Laurion zog den Ärmel seines schwarzen Hemdes hoch und streckte ihr die Innenseite seines Handgelenks entgegen. Er trug die gleiche Narbe.

„Die Sonne“, sprach er.

Und ja, jetzt wo er es sagte, es sah tatsächlich aus wie eine Sonne, die strahlte.

„Du kannst die Narbe nicht heilen, oder?“, fragte er sie, als er in ihren Augen las, was sie nicht bestätigte.

„Nein“, flüsterte sie.

„Du wirst Blut trinken müssen, um deine Kräfte zu entwickeln. Deine Eltern konnten nicht da sein, um dir alles zu zeigen. Deshalb werde ich diese Aufgabe nun übernehmen. Ich trainiere dich“, sprach er und drehte sich wieder dem Feuer zu.

„Ich werde ... was?“, sie starrte ihn ungläubig an.

„Blut. Du brauchst es nicht zum Überleben, doch ohne es wirst du schwach und deine Fähigkeiten sind wirkungslos“, sagte er.

Marie schüttelte den Kopf: „Ich werde sicher kein Blut trinken.“

Als er sich zu ihr umdrehte, um etwas zu sagen, drehte sie sich weg, ging entschlossen zu ihrem Platz zurück und goss sich ein großes Glas Rotwein ein. Sie trank das Glas in einem Zug leer und krallte sich mit der Hand an die Stuhllehne.

„Marie ... du darfst dich nicht weigern. Es ist deine Bestimmung“, sagte er eindringlich und kam zu ihr.

„Bestimmung“, lachte sie höhnisch und goss sich nach.

„Betrink´ dich nicht!“, sagte er.

Doch sie ignorierte ihn und setzte an, um das zweite Glas Wein herunterzukippen. Als sie den ersten Schluck nehmen wollte, schnellte das Glas plötzlich aus ihrer Hand, als hätte es eine unsichtbare Hand weggeschlagen und kam klirrend auf dem Boden zu Fall, der Wein ergoss sich über den teuren Teppichläufern.

 

 

 

 

 

 

 

 

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