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Haupt: Mein Leben mit Dragon

16,98
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Das Buch für jeden Pferdebeigeisterten

„Mein Leben mit Dragon“ begleitet ein elfjähriges Mädchen auf seinem Weg zum Erwachsenwerden mit ihrem Pferd. Es beschreibt sehr selbstironisch Höhen und Tiefen und die Veränderungen, die das Leben stetig so mit sich bringt – immer in Hinblick auf eine ganz besondere, intensive und unverwechselbare Beziehung zwischen Mensch und Tier.

 

Britta Haupt: Mein Leben mit Dragon, € 16,98, ISBN 978-3-86992-031-3

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Wie alles begann ...


„Liebe auf den ersten Blick“ ist sicherlich ein sehr umstrittenes Thema, aber es gibt sie.

Mir ist sie vor, in diesem Moment, dreizehn Jahren, einem Monat und vier Tagen begegnet.

Die Liebe meines Lebens heißt schlicht und ergreifend Dragon, um genauer zu sein, Uhlendahl-Dragon. Ein wunderschöner, einfach umwerfender Welsh-Cob-Wallach.

Ich kann mich noch ganz genau an diesen Tag und vor allem an dieses unbeschreibliche Gefühl erinnern, denn es hat mein Leben grundlegend verändert, geprägt und entscheidend beeinflusst.

„Du bist vom Kinderwagen direkt aufs Pferd umgestiegen und es konnte dir einfach nie schnell genug gehen. Man könnte auch sagen, dass du etwas gehfaul warst.“ Das sind die Worte meiner Mami, wenn sie an meine Kindheit denkt.

Entweder ist das Virus namens „Pferdeliebe“ vererbbar, oder meine Mami steckte mich unmittelbar nach der Geburt damit an. Mit sechs Monaten durfte ich das erste Mal reiten, mit drei Jahren habe ich das erste eigene Shetty mit Westernsattel bekommen und mit knapp fünf Jahren ein Islandstutfohlen aus Mamis kleiner Privatzucht.

Allerdings hatte die Familienidylle hier auch erst mal ein Ende, denn meine Mami und mein Vater haben sich scheiden lassen, Haus und Pferde wurden verkauft und der Weg führte meine Mami, meinen Bruder und mich aus dem Bergischen Land an die Nordsee.

Damals wandte ich mich voller Verzweiflung und Trauer an meine Oma. Bei unserem Spaziergang durch den Wald habe ich fürchterlich geweint. „Oma, ich werde nie mehr ein eigenes Pferd haben.“ Ich war fest überzeugt von meiner Aussage und konnte das laute Gelächter meiner Oma deshalb überhaupt nicht deuten. „Mäuschen“, sagte sie „ich verspreche dir, dass du irgendwann in deinem Leben wieder ein eigenes Pferd haben wirst. Du bist wie deine Mami. Alles, was sie sich vornimmt, wird über kurz oder lang in die Tat umgesetzt.“

Kurz oder lang ist sozusagen das Stichwort, denn jahrelang passierte in puncto Pferde und Reiten rein gar nichts.

Schließlich – mittlerweile war ich neun Jahre alt – fing es an mit der ein oder anderen Reitstunde, aber wem man einmal den kleinen Finger reicht, der möchte doch lieber die ganze Hand. So dauerte es natürlich nicht lange, bis ich wild entschlossen versuchte, meine Mami von einem eigenen Pferd zu überzeugen. Zwei Jahre und einige Diskussionen, Tränen und Wutanfälle später stand endlich fest: Wir kaufen uns ein Pferd, oder eher gesagt, ein Pony. Die Suche nach einem Freizeitpferd mit einer soliden Grundausbildung zu einem erschwinglichen Preis konnte beginnen. Schnell stellte sich jedoch heraus: Leichter gesagt als getan.

Unterstützt von meiner damaligen Reitlehrerin, wurden die Pferdehöfe über Wochen nur so abgeklappert, Termine zu Proberitten gemacht und unzählige Gespräche mit Pferdebesitzern geführt.

Heute stand jedoch ein neunjähriger Ponywallach namens Lano auf unserem Programm.

„Lano ist einfach, gerade was den Umgang mit Kindern betrifft, total ruhig und gelassen und natürlich super unterm Sattel.“ Lanos Besitzerin geriet nur so ins Schwärmen und es war unbegreiflich, warum sie den kleinen Apfelschimmel überhaupt verkaufen wollte. Diese Frage ließ sich dann allerdings schneller als erwartet beantworten. Und zwar, als das niedliche Pony buckelnd mit mir oben drauf Runde für Runde durch eine kleine Reithalle raste. Mit zittrigen Knien und kreidebleichem Gesicht war ich froh wieder den Boden unter meinen Füßen zu spüren. Das war also mal wieder ein Schuss in den Ofen, aber viel Zeit, über das misslungene Ereignis nachzudenken, hatten wir nicht, denn schon zwei Tage später stand der nächste Termin zum Proberitt auf dem Plan.

In der Nacht von Freitag auf Samstag konnte ich – wie vor jedem „Besichtigungstermin“ – nicht wirklich schlafen und zur Ruhe kommen. Jedes Mal wuchsen meine kindliche Hoffnung und der Glaube daran, endlich das geeignete Pony zu finden. Ich malte mir in meinen Gedanken das Pferd aus, das wir uns morgens um 10 Uhr angucken wollten. Eine fünfjährige braune Stute mit gewissen Dressurkenntnissen und Turniererfahrung. Voller Vorfreude auf die Stute weckte ich Mami bereits um 6 Uhr und wirbelte wie der Wirbelwind höchstpersönlich durch unsere Wohnung. Mein jüngerer Bruder, der von meinen Attacken schon mehr als genervt war, freute sich darauf, den ganzen Tag bei seinem Freund verbringen zu dürfen.

„Heute muss es klappen und heute wird es klappen. Wir lernen unser Traumpferd kennen.“ Meine Mami hat wirklich ein hartes Los mit mir gezogen, denn ich war von dem, was ich ununterbrochen zum Besten gab, felsenfest überzeugt. Meine Begeisterungsfähigkeit erreichte schon nahezu hundert Prozent. Leider wurde mein Enthusiasmus nicht geteilt. Ganz im Gegenteil, meine Mami wollte mich lieber seelisch mit den Worten: „Du weißt doch, dass es verdammt schwierig ist, etwas Geeignetes für uns zu finden.“, und: „Sei bitte nicht enttäuscht, wenn es heute wieder nicht klappt, denn eigentlich ist die Stute mit ihrem Stockmaß von 1,65 m auch nicht das, was wir möchten.“, auf eine weitere Niederlage vorbereiten. Ich beharrte selbstverständlich auf meinem Standpunkt und versicherte ihr: „Doch, heute ist unser Pferd mit dabei. Du wirst schon sehen.“

Vollkommen genervt von meinem permanenten Redefluss, ließ mich meine Mami dennoch gewähren und erduldete tapfer die Autofahrt zum Pferdehof. Endlich angekommen – meiner Mami muss es vorgekommen sein wie die Erlösung – waren wir, und vor allem ich, sprachlos. Der Pferdehof war ein absolut gepflegtes und überaus ansprechendes Anwesen und mit Abstand der schönste Hof, den wir bis zu diesem Zeitpunkt besichtigen durften. Wie immer nicht pünktlich, sondern überpünktlich –allerdings ohne meine Reitlehrerin, denn die musste kurzfristig vor unserem Termin absagen – war es uns vergönnt, schon vorab eine ausgiebige Besichtigung der Stallungen vorzunehmen. Die Warnungen meiner Reitlehrerin: „Das ist ein Händler, eine ganz linke Bazille“, rückten beim Anblick der wunderschönen, großrahmigen und edlen Pferde für mich rasend schnell in den Hintergrund, wohl wissend jedoch, dass meine Mami, von Natur aus ohnehin wahnsinnig skeptisch, nichts dem Zufall überlassen würde. Dennoch bewunderten wir die schönen Vierbeiner. Überwiegend fanden wir die durchaus gefragten und größtenteils hoch bezahlten Oldenburger und Hannoveraner in absolut luxuriösen und gut mit Stroh eingestreuten Boxen vor. Umso mehr stachen mir drei Shettys ins Auge, denn sie fielen mit ihrem zotteligen, langen Fell und der üppigen Mähne total aus dem Rahmen und passten nicht wirklich auf diesen Hof, wobei Mami und ich mit unserem Wunsch nach einem robusten und soliden Pony beziehungsweise kleinem Freizeitpferd anscheinend ebenfalls etwas fehl am Platz waren. Fasziniert von den knuddeligen Ponys und versunken in die schönsten „Immenhof-Fantasien“, wurde ich mit einem lauten „Hallo!“ unverzüglich aus meinen Gedanken zurück in die Realität geholt. Der Besitzer der prachtvollen Anlage kam mit einer jungen, gutaussehenden Pferdepflegerin zielstrebig und freundlich auf uns zu und nahm uns überaus höflich und zuvorkommend in Empfang. Er führte uns voller Stolz durch seine Stallungen und präsentierte im Anschluss die schicke Stute namens Wajana. Wajana hatte glattes, kurzes, glänzendes Fell und es schimmerte und fühlte sich an wie pure Seide. Die Stute stand bereits am Putzplatz und blickte uns mit ihren großen, dunklen Augen neugierig an. Sie hob ihren hübschen und zierlichen Kopf und spitzte ihre zarten, wohl geformten Öhrchen. Es war sofort klar, dass Wajana ein Bild von einem Pferd war. Die elegante Stute wurde nach draußen geführt und im Sonnenlicht wirkte sie noch edler, als sie es ohnehin schon war. Alle Gangarten zeigte uns die erst fünfjährige Stute und schwebte dabei über den Asphalt. Sie schmiss ihre langen, zarten Beine in die Luft, als würde es unter ihr keinen Untergrund mehr geben. „Unglaublich, einfach wunderschön.“ Viel mehr konnte selbst meine Mami bei dem Anblick der hübschen Stute nicht rausbekommen, und dennoch war sofort klar: Das ist nicht unser Pferd. Es gab keinen Proberitt, keine Gespräche oder Diskussionen über das Aussehen und die Qualitäten des Pferdes, aber vor allem auch keine richtige Enttäuschung, denn Wajana war ein überaus ansprechendes Pferd mit reichlich Potenzial. Sie war schlicht und ergreifend nur nicht das, was wir suchten, und in diesem Punkt waren Mami und ich uns glücklicherweise auch mal wieder auf Anhieb einig. Mami versuchte es sachlich und freundlich auszudrücken: „Herr Pfeifer, vielen Dank für Ihre Bemühungen. Wajana ist auf den ersten Blick eine wirklich reizvolle Stute mit sehr schönen Gängen, aber leider nicht im Ansatz das, was mir für mich und meine elfjährige Tochter vorschwebt.“ Der freundliche Mann guckte fragend und so fuhr Mami fort: „Wissen Sie, ich hatte zehn Jahre lang Isländer und tendenziell bevorzuge ich ein kräftiges, kompaktes und robustes Pony mit dem gewissen Etwas. Ein Freizeitpferd mit einer soliden Grundausbildung. Es tut mir außerordentlich Leid, denn eigentlich hätte ich bereits am Telefon feststellen müssen, dass Ihre Stute nicht infrage kommt.“ Einen Moment lang begutachtete uns Herr Pfeifer so fassungslos, dass ich dachte, wir hätten gerade einen Sechser im Lotto verspielt. Der gute Mann kam jedoch schnell wieder zur Besinnung und unterbreitete uns Plan B. „Sie suchen also ein Pony?“ Die Frage stellte er vorsichtig und behutsam, denn vermutlich wollte er sichergehen, dass er mit seinem nächsten Angebot bei uns punkten konnte. „Ja, so ist es!“, antwortete Mami unverzüglich. Der mittlerweile wieder freundlich guckende Mann schien wahnsinnig erleichtert zu sein. Wir standen noch draußen, obwohl Wajana längst wieder, von der Pferdepflegerin liebevoll versorgt, in der Box stand. „Na dann! Darf ich Sie auf eine zweite Runde in meinen Stall bitten? Wenn Sie mögen, zeige ich Ihnen noch ein Pony.“ Mami und ich tauschten entsetzte Blicke aus. Die Ponys – und eins der drei musste er wohl gerade gemeint haben – hatten wir doch bereits gesehen. Herr Pfeifer konnte uns doch jetzt nicht allen Ernstes ein Shetty mit einem Stockmaß von 1,05 m anbieten, oder?! Anscheinend schon, denn genau diese Richtung schlugen wir ein, als der Herr plötzlich stehen blieb und ich voller Sorge dachte, dass sich der arme Mann jetzt auch noch den Knöchel verstaucht hat. Allerdings schien es ihm sehr gut zu gehen und erwartungsvoll blickte er uns an, als er die Seitentür vor uns öffnete. Mami und mir war sie bei dem Rundgang durch den Stall nicht mal ansatzweise aufgefallen. „Hier ist er.“ Schon bei dem „hier“ war ich nicht mehr auf dieser Welt. Unmittelbar die erste Box auf der linken Seite im, bis dahin verborgenen, Nebengebäude ließ mich erstarren, als wäre ich gerade vom Blitz getroffen worden. Einfach alles um mich herum wurde zur Nebensache und ich nahm nichts mehr wahr. Ich sah nur noch in die Augen eines bestechend schönen Hengstes. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diesen unbeschreiblichen Moment denke. Wie verzaubert von dem schwarzen, muskulösen und einfach einzigartigen Hengst, begann mein Herz vor lauter Freude, Glück und vollkommener Überwältigung wie wild zu klopfen. Dieses Kribbeln im Bauch und das Herzklopfen beim Gedanken an den unglaublichen Schwarzen ist bis heute geblieben. Das ist es, was für mich die Liebe auf den ersten Blick oder die Liebe des Lebens ausmacht. Ein unsagbares Gefühl der tiefsten Verbundenheit von Anfang an – auch über den Tod hinaus.

Die Box des Hengstes lag etwas erhöht und dadurch wirkte der gut gebaute und schöne Schwarze noch mächtiger und pompöser. „Das ist das Pony, das ich Ihnen noch anbieten kann. Er heißt Dragon, Uhlendahl-Dragon.“ „Pony?!“, fragte Mami völlig fassungslos. Dragon wirkte keineswegs wie ein Pony, doch vom Stockmaß war er tatsächlich mit seinen 1,48 m genau an der Grenze zwischen Pony und Pferd. „Der und kein anderer.“, hörte ich mich immer wieder sagen, obwohl Dragon bis jetzt weder die Box verlassen hatte, noch ein Proberitt oder ähnliches im Gespräch war. Ich merkte, dass Mami genau so angetan, fasziniert und wohl auch schon verliebt war in den wundervollen schwarzen Hengst mit dem weißen Stern, der Schnippe und den vier weißen Fesseln. Trotzdem ermahnte sie mich und versuchte, mir den ein oder anderen bösen Blick zuzuwerfen, denn immer wieder hatte sie mir gepredigt: „Wenn dir etwas gut gefällt und du es kaufen möchtest, dann lass dir deine Begeisterung nicht anmerken, denn dein Gegenüber wird es sicherlich zu seinem Vorteil ausnutzen und bestimmt versuchen, den Kaufpreis unauffällig zu erhöhen.“ Mit dieser Vermutung hatte sie wieder einmal mehr als Recht, denn wenn ich mich richtig erinnere, fing Herr Pfeifer mit einem Verkaufspreis von 6.000 DM an. Später waren es dann irgendwie 7.000 DM, wobei wir dem guten Mann für diesen unglaublichen Hengst unser ganzes nicht vorhandenes Vermögen überlassen hätten. Mamis Limit war längst gesprengt, aber es bestand kein Zweifel, an dem was wir gerade taten. Es fühlte sich einfach nur unsagbar gut und richtig an und Dragon bestätigte unsere beziehungsweise natürlich überwiegend Mamis Entscheidung jeden Tag wieder aufs Neue.

Dragon war ein im Rheinland gekörter (zur Zucht zugelassener) Deckhengst, sieben Jahre alt und hatte fünf eigene Nachkommen. Sein Ausbildungsstand in Dressur und Springen war für Mami und mich höchstes Niveau und so sollten wir wohl eher von ihm lernen können als er von uns. In Niedersachsen wurde er mit der Begründung „zu leichtes Fundament“ nicht als Deckhengst zugelassen, wobei Herr Pfeifer ihn noch mal hätte vorstellen dürfen. Doch wir hatten Glück – und das bezeichne ich durchaus als Sechser im Lotto – und wir kamen als potenzielle Käufer ins Spiel. Die Angelegenheit ließ sich für ihn natürlich so viel leichter und schneller aus der Welt schaffen. Nach einigen harten Gesprächen und Diskussionen über den Preis, die Kastration des Hengstes und den diesbezüglichen Risiken, die Ankaufsuntersuchung, den Transport und die Unterbringung, konnte der Kaufvertrag doch schneller als erwartet unterschrieben werden. Ich war selbstverständlich Tage, Monate, Jahre und letztendlich die ganze Zeit, die ich mit Dragon haben durfte, vollkommen aus dem Häuschen und überglücklich über die Tatsache, ein eigenes Pferd besitzen zu dürfen. Angemerkt sei jedoch, dass er ursprünglich selbstverständlich ausschließlich das Pferd meiner Mami war, aber dazu später.

Mit der Übergabe des Wallachs, er war mittlerweile also, wie mit Herrn Pfeifer vereinbart, kastriert worden, am 07. Februar 1995 begann ein neues, vollkommen anderes, aber absolut aufregendes, spannendes, lustiges und vielseitiges Leben für mich.

Mein Leben mit Dragon.

Dragon kam abends gegen 19:00 Uhr in meinen damaligen Reitstall, wobei natürlich von Anfang an feststand, dass dies nur eine Übergangslösung darstellen sollte, denn wie der eine oder andere Pferdebesitzer sicherlich nachvollziehen kann, wollten wir unseren nächsten größten Traum über kurz oder lang verwirklichen und unseren Dragon ans Haus holen. Die Planung „Wohnen mit Pferd“ stand schon länger, die Umsetzung sollte jedoch noch ein paar Monate andauern. So war der Reitstall vorübergehend unsere erste Anlaufstelle und auch dort verzauberte Dragon noch an jenem Abend sämtliche Pferde- und Nicht-Pferdeleute. Er schwebte und stolzierte wie der König höchstpersönlich durch die Stallgasse direkt in seine Box und war auch nach dem längeren Transport noch voller Elan und Temperament. Ich hätte natürlich am liebsten die Nacht im Stall verbracht, denn ich mochte Dragon von diesem Moment an nicht mehr alleine lassen. Da dies leider nicht zu hundert Prozent, sozusagen gar nicht, zu verwirklichen war, nutzte ich selbstverständlich jede freie Minute, um bei meinem Pferd zu sein. Schule, Freunde und bis dahin andere flüchtige Hobbys wurden ohne Zweifel erst einmal auf Platz zwei, drei oder komplett verbannt. Es ging los mit Reitunterricht, denn solange Dragon noch im Reitstall stand, sollte und wollte ich die Möglichkeit nutzen, mich unter Anleitung mit ihm anzufreunden, den richtigen Umgang mit ihm zu erlernen und reiterliche Fortschritte zu machen. Allerdings muss das auf andere Leute sehr lustig und zum Teil bestimmt auch ein wenig unkoordiniert gewirkt haben. Ich war damals nämlich ziemlich klein und sehr zierlich. Tja, und da ist das Aufsatteln oder Auftrensen leichter gesagt als getan. Mit meinen elf Jahren war ich genauso groß wie Dragon und kaum hob er den Kopf, war kein Denken daran, ihm eine Trense zu verpassen. Vom Satteln ganz zu schweigen. Den schweren Ledersattel bekam ich kaum vom Sattelschrank zum Pferd getragen. Den Sattel dann aufs Pferd zu bekommen waren Kraftakte für mich. Und überhaupt war Dragon so stark. Wollte er rechts und ich links, setzte er sich meistens – anfangs irgendwie immer – durch. Nach und nach passte er sich jedoch meinen Kräften etwas an, wurde gelegentlich rücksichtsvoller und gab auch schon das eine oder andere Mal nach. Wenn ich ihn also beispielsweise zum Unterricht fertigmachen wollte, vergnügt und wohlwollend mit der Trense auf ihn zukam, er den Kopf gen Himmel streckte, ich schimpfte und meckerte wie ein Rohrspatz, war er manchmal einsichtig oder einfach nur genervt von meinem Geschimpfe, senkte dann schließlich den Kopf, sodass ich ihn auftrensen konnte, denn ansonsten hätte ich so oder so keine Chance gehabt. Das sollten jedoch nur die Anfänge unserer zahlreichen Machtkämpfe sein.

Im Unterricht selbst lief dann oftmals auch nicht alles so glatt und reibungslos. Ich kann mich noch an eine ganz bestimmte Reitstunde erinnern. Dragon wollte nicht angaloppieren. Egal, was ich versuchte, mein Schwarzer blieb stur und mehr als: „Hau drauf, der Gaul muss jetzt galoppieren“, bekam ich von meiner Reitlehrerin nicht zu hören. Mit Gewalt hatte ich es noch nie so und selbst die Gerte war mir ein Dorn im Auge, allerdings gang und gäbe beim Unterricht. Ebenso wie die Sporen, die ich jedoch immer verweigerte, denn Mami und ich waren uns einig, dass ich meine Beine dafür auch noch viel zu unruhig hielt und man Dragon diesen unnötigen Qualen nicht aussetzen musste. Dragon rannte also Runde für Runde im schönsten Trab mit mir durch die kleine und eigentlich sehr beängstigende Reithalle, bis ich meine Reitlehrerin, Frau Schulz, nur noch schreien hörte: „Runter da, jetzt zeig ich dir mal, wie man das macht.“ Ich war so überrumpelt und mit erst elf Jahren leider in diesem Punkt absolut überfordert und tat letztendlich nur das, was Frau Schulz von mir verlangte. Ich stieg vom Pferd und ehe ich mich versah, saß sie auf meinem Dragon und vermöbelte ihn ohne Vorankündigung. Sie wollte ihm zeigen, wer der Boss war, und Dragon hat ihr gezeigt, wer der Boss war. Ich stand in der Mitte der Reithalle, war dem Spektakel hilflos ausgesetzt, vollkommen verzweifelt und fix und fertig mit den Nerven. Mein Pferd gab vor lauter Schmerzen durch die Schläge der Gerte schon ganz komische Geräusche von sich und ich stand nur da und weinte. Ich weinte so fürchterlich, dass es verwunderlich war, dass ich mich überhaupt noch mal beruhigen konnte. Dragon ist sich, und auch irgendwie mir, treu geblieben und galoppierte nicht. Frau Schulz sprang schließlich, mit ihren Kräften und ihrem Latein am Ende, vom Pferd und verschwand wutentbrannt. Wohin, weiß ich nicht, aber es war mir auch so egal. Immer wieder streichelte ich Dragon und strich ihm über seinen wunderschönen Kopf, guckte ihm in seine großen, treuen Augen und entschuldigte mich bei ihm für das, was ich ihm gerade indirekt angetan hatte. Letztendlich tröstete er jedoch eher mich, denn so verschmust, wie ich ihn zu diesem Zeitpunkt erleben durfte, war er anfangs oder generell ziemlich selten. Mein schlechtes Gewissen quälte mich sehr und, obwohl Mami mir keine Vorwürfe machte, der Reitlehrerin allerdings leider auch nur sehr mäßige, versprach sie mir, dass sie mich nie wieder alleine zum Unterricht lassen würde, da so eine Situation nicht mehr vorkommen sollte. Die Verhaltensweise der Reitlehrerin und auch der anderen Leute duldeten wir auch nur, weil wir immer im Hinterkopf hatten, dass dies nur eine Übergangslösung darstellte. Irgendwann brachte Frau Schulz das Fass allerdings zum Überlaufen, und zwar als ich eine Vereinbarung mit ihr getroffen hatte, die sie nicht einhielt. Eines Morgens rief mich Frau Schulz an: „Hallo! Heute kommt eine junge und talentierte Bereiterin, sie heißt Lydia, in den Stall, die Dragon gerne mal reiten würde. Ist das in Ordnung für dich?“ Ich hasste es, wenn andere Leute auf Dragon reiten wollten, aber ich wurde von dem Argument „Die kann euch auch mal zeigen, was der Schicke alles so drauf hat“ überzeugt und willigte ein. „Heute Nachmittag, aber nicht vor 15:00 Uhr“, gab ich unmissverständlich zu verstehen. Mami, die – wie ja bereits erwähnt – ohnehin einen Drang zur extremen Überpünktlichkeit hat, fuhr auf meinen Wunsch schon am späten Vormittag mit mir zum Stall. Um 12:00 Uhr kamen wir also am Stall an und ich wollte die Zeit nutzen, um meinen Dragon auf Hochglanz zu bringen. Kaum aus dem Auto gestiegen, gab es für mich ohnehin kein Halten mehr. Wie immer stürmte ich zielstrebig zu Dragons Box, um meinen Hübschen ausgiebig zu begrüßen. Voller Entsetzen musste ich jedoch feststellen, dass er nicht in seiner Box stand. Ich kann gar nicht genau sagen, was mir in diesem Moment alles durch den Kopf geschossen ist. Von Pferdeentführung über ‚Mein Pferd hat eine Kolik und ist in einer Tierklinik gelandet’ war sicherlich alles mit dabei. Komischerweise rannte ich aber dennoch instinktiv erst mal in Richtung Reithalle und sah – es musste wohl die besagte Bereiterin sein – mein Pferd unterm Sattel. Wutanfälle hab ich bekommen und Mami, die mittlerweile auch angekommen war, musste mich erst mal beruhigen. „Wofür trifft man denn klare Absprachen?“, hab ich immer wieder gefragt. „Das kann doch nicht sein, so eine Unverschämtheit!“ Lydia, nichts ahnend von all dem, lächelte Mami und mich freundlich an und begrüßte uns, obwohl sie nicht einmal wusste, dass Dragon zu uns gehört. Aber wahrscheinlich hat sie es vermutet oder meinen bösen Blicken entnommen. Mami sprach sie natürlich gleich auf diese doch sehr dubiose Situation an und schnell stellte sich heraus, dass einzig und allein Frau Schulz Schuld war, denn sie hatte Lydia gestattet, das Pferd fertig zu machen und zu reiten, obwohl sie wusste, dass ich dabei sein wollte und die ganze Angelegenheit nicht vor 15:00 Uhr stattfinden sollte. Meine Wutanfälle verwandelten sich in Tobsuchtsausbrüche. Trotzdem durfte Lydia noch ein wenig auf Dragon reiten, sie konnte ja beim allerbesten Willen nichts dafür, und zeigte uns zur Besänftigung noch einige wunderschöne Dressurübungen. Sie war sehr zufrieden mit Dragon und gab uns unmissverständlich zu verstehen, dass wir einen hervorragenden Kauf getätigt hatten. Das wusste ich zwar ebenfalls schon, und zwar von der ersten Sekunde, dennoch war es natürlich eine Ehre von einer fachmännischen Bereiterin, eine solche Lobeshymne über mein Pferd zu hören, und sie erfüllte mich mit großem Stolz. Dies kam Frau Schulz sehr zugute, denn als sie in Erscheinung trat, war ich schon um einiges ruhiger und wieder etwas besser gelaunt. Trotz alledem kam Frau Schulz nicht ungeschoren davon, denn wir sagten ihr, beziehungsweise Mami sagte ihr: „Sie hatten eine konkrete Absprache mit meiner Tochter und haben sich nicht dran gehalten. Für die ganzen Vorfälle in letzter Zeit gibt es auch keine Entschuldigung mehr. Dragon soll unter diesen Umständen nicht länger in Ihrem Reitstall stehen. Wir holen ihn in einer Woche ab und stellen ihn in einen anderen Stall.“ Meine Reitlehrerin war zutiefst getroffen und versuchte alles, damit wir unsere Entscheidung noch mal überdachten. „Das waren doch nur ganz blöde Missverständnisse, die sich doch sicherlich ohne Weiteres aus der Welt schaffen lassen. Als Entgegenkommen biete ich gerne ein paar kostenlose Reitstunden an.“ Dies und Ähnliches konnten wir uns die nächsten Tage immer wieder anhören. Für Frau Schulz war die Angelegenheit keine gute Werbung, und da Dragon im Fortgeschrittenenunterricht eingesetzt wurde, fehlte ihr ja auch ein gutes und verlässliches Schulpferd. Den Hof über kurz oder lang zu verlassen, stand ja sowieso in Planung. Leider war unser Stall und das Grundstück – es stand noch voller wild gewachsener Bäume und Sträucher – hinter unserem Haus noch nicht einmal ansatzweise fertig, obwohl wir jede freie Minute, die wir gerade nicht bei Dragon verbrachten, an dem Projekt arbeiteten. Es musste also eine Not- beziehungsweise Zwischenlösung her. Woher auch immer wir den Tipp bekamen, es wurde uns ein Stall ungefähr sechs Kilometer von unserem Wohnort empfohlen. Ein kleiner, netter Privatstall, der sich zu diesem Zeitpunkt im Aufbau befand. Nach circa drei oder vier Monaten ging es also nach den negativen Erfahrungen vom Schulz-Reitstall zu dem privaten Stall von Lars Oltmann und Helga Janssen. Der Tag, an dem wir Dragon abholten, ein bis dahin flüchtiger Bekannter war so gut, uns bei Dragons Transport mit Auto, Pferdeanhänger und Rat und Tat zur Seite zu stehen, war wunderschön und total sonnig. Wir hatten mittlerweile Weidesaison und nach der ersten Eingewöhnungsnacht in einer hellen und freundlichen großen Box sollte Dragon zu den anderen Pferden auf die Weide. Er kam zu einer kleinen Herde mit zwei, drei Wallachen und ein paar Stuten. Schnell fasste Dragon Fuß und hatte schon nach den ersten Stunden netten Anschluss gefunden. Wider Erwarten schloss er sich mit einem anderen Wallach zusammen und die beiden wurden zügig zu unzertrennlichen Freunden. Eigentlich ziemlich ungewöhnlich, denn Dragon war sehr lange Hengst und selbstverständlich hatte er noch alle Hengstmanieren. Ein anderer Wallach bedeutete also eher Konkurrenz und bei allen anderen war es auch so. Nur Vicky sollte sein bester Kumpel sein.

Die ersten paar Tage und Wochen gab es keine besonderen Vorkommnisse. Das Wetter war nach wie vor traumhaft schön, das Gras frisch und saftig grün und in der Herde war überwiegend alles harmonisch und friedlich. Ich ritt gelegentlich auf dem Reitplatz und knüpfte die ersten netten Bekanntschaften. Auf unserem Grundstück ging es, wenn auch nur schleppend, voran und so rückte der Traum vom Pferd am Haus schon etwas näher.

Das sollte aber anscheinend alles zu harmonisch sein und so ließ die nächste mittelschwere bis größere Katastrophe nicht lange auf sich warten. Ein Pferd aus Dragons Herde rannte durch den Zaun – es wurde unterstellt, dass Dragon es war, und brachte alles in Aufruhr. Die allgemeine Hektik brach aus und man brauchte für diesen Vorfall zwingend notwendig einen Sündenbock. Der Sündenbock hieß für fast die komplette Stallgemeinschaft Dragon und wieder einmal stand ich mit meinen erst elf Jahren zwischen den heftigsten Diskussionen und Anschuldigungen. Fachmännisch wurde überlegt, was man bloß mit einem so schlimmen Unruhestifter wie Dragon anstellen sollte, und ruckzuck war klar „Der kommt einfach zu dem Friesenhengst auf die andere Seite.“ Wer auch immer diesen Kommentar vom Stapel ließ, er oder auch sie musste von Pferden wenig bis gar keine Ahnung haben. Selbst mir war bekannt, dass man zwei fremde Hengste unter keinen Umständen aufeinander loslassen sollte. Dragon war zwar kein Hengst mehr, aber seine Kastration lag erst wenige Monate zurück und so würde ein Aufeinanderkommen der Pferde zu einem harten und erbittertem Kampf führen, der für einen der beiden vielleicht sogar tödlich ausgehen könnte. Leider überzeugte die absurde Idee nach und nach auch die anderen Pferdebesitzer und ich war mal wieder vollkommen verzweifelt. Da ohnehin keiner auf mich hörte und mich zur Kenntnis nahm, schnappte ich mir mein Fahrrad, fuhr zu einer Freundin nicht weit entfernt vom Hof und rief von dort aus meine Mami an. „Mami, du musst ...“, ich war so außer Atem und natürlich sehr aufgeregt, „... unbedingt zum Stall kommen. Sofort! Die wollen Dragon zum Friesenhengst stellen.“ Auf Mami war selbstverständlich Verlass und so versuchte sie mich kurz zu beruhigen und sagte dann: „Bin schon unterwegs.“ Als sie endlich da war, stellte sie erst einmal klar, dass die vermeintliche Lösung, Dragon zum Hengst zu stellen, überhaupt keine Alternative sei. Inzwischen hatten sich die Gemüter aber glücklicherweise ohnehin schon wieder etwas beruhigt und zur Krönung stellte sich anschließend noch heraus, dass Dragon gar nicht der Übeltäter der ganzen Aktion war. Eine Stute hatte sich im Draht verfangen und ihn so zum Reißen gebracht. Ihre, zum Glück, nur oberflächliche Wunde ließ jedenfalls darauf schließen. Trotzdem war man mit Dragon in dieser Herde – warum auch immer – nicht zu hundert Prozent einverstanden und die Allgemeinheit überarbeitete ein neues „Herdenkonzept“. Demnach sollte Dragon einfach auf die andere Seite der Straße zu einer ebenfalls nicht zu großen Gruppe von Großpferden. Im Großen und Ganzen sprach für Mami und mich nichts dagegen, einmal abgesehen von der Tatsache, dass ich beim besten Willen nicht wusste, wie ich Dragon die Trennung von seinem Kumpel Vicky erklären sollte. Dragon, ein grundsätzlich sehr aufgeschlossenes Pferd, steckte die Umstellung jedoch ganz gut weg, beziehungsweise hatte er soviel Ablenkung, dass er gar keine Zeit hatte, seinem Freund lange hinterher zu trauern. Dragon war nämlich damit beschäftigt, die komplette Herde von A bis Z aufzumischen und neu zu strukturieren. Winni, ein großer Schimmelwallach, war sein erstes Zielobjekt. Dabei höre ich die Worte von Winnis Besitzer noch ganz genau: „Mein Pferd mag keine Ponys. Der hat sogar schon mal eins zu Tode geprügelt.“ Das einzige Pferd, das fast zu Tode geprügelt wurde, war Winni. Und so dauerte es nur wenige Tage, bis der große „Ponyhasser“ lahmend und mit Bissspuren übersät die Weide verlassen musste. Zweites und drittes Objekt von Dragons Begierde waren dann die anderen Wallache und auch die hatte er schnell geschafft. Ein Pferd nach dem anderen musste vom jeweiligen Besitzer gerettet und wochenlang gepflegt und tierärztlich behandelt werden. Letztendlich hatte Dragon dann das, was er vermutlich von Anfang an wollte: eine reine Stutenherde. Er war also Hahn im Korb, aber da er sich ja sowieso als absoluter Macho aufführte, passte seine selbst zusammengestellte Konstellation sehr gut und so kehrte endlich wieder Ruhe in die Herde und nach langer Zeit auch wieder in die Stallgemeinschaft. Wochenlang war irgendwie niemand bereit, wirklich ein Wort mit Mami oder mir zu wechseln, aber zumindest war schnell klar, dass so etwas wie Langeweile mit Dragon an unserer Seite nie vorkommen würde. Alleine schon das Einfangen meines Wildgewordenen wurde zum fast täglichen Konditionstraining. Seine kleine Herde schien ihm mittlerweile also so gut zu gefallen, dass er überhaupt nicht die Notwendigkeit sah, diese zu welchem Anlass auch immer zu verlassen. Zwei Stunden hinter Dragon her zu jagen, war keine Seltenheit und er betrachtete das Ganze nach einer gewissen Zeit anscheinend nicht mehr als unangenehme Last, sondern eher als eine spielerische Beschäftigungstherapie. Eine Beschäftigungstherapie war es auch ungelogen, allerdings nicht für Dragon. Mit sämtlichen Mitteln versuchten wir Dragon einzufangen, aber kein gutes Zureden und keine Bestechungsversuche halfen, um ihn zum Verlassen der Weide zu überreden. Das ununterbrochene Weglaufen konnten wir ja nicht durchgehen lassen und so fingen wir an, ihn zu jagen. Permanent sollte er in Bewegung bleiben und wie wir nicht mehr zur Ruhe kommen – in der Hoffnung, dass er über kurz oder lang merken würde, dass es wesentlich angenehmer und entspannender war, sich einfach ein Halfter umlegen zu lassen und die Weide für irgendwelche harmlosen und lockeren Aktivitäten zu verlassen. Dragon hypnotisierte uns mit seinen Blicken und galoppierte Runde um Runde über die große Weide oder zog seine Kreise unmittelbar um Mami und mich herum. Vor lauter Erschöpfung wechselten Mami und ich uns schließlich mit dem Wettlaufen mit Dragon ab und bezogen nach und nach noch fitte und brauchbare Stallkollegen oder Freunde mit in unseren Wettstreit ein. Irgendwann – wie gesagt, zwei Stunden waren nicht ungewöhnlich – war auch Dragons Kondition oder wahrscheinlich eher seine Lust am Weglaufen ausgereizt, und so ließ er sich doch noch bändigen. Klatschnass geschwitzt und vollkommen erledigt von dem ganzen Aufwand, blieb nicht mehr viel Sinn für irgendwelche weiteren Anstrengungen zu Pferd und nach solchen Aktionen durfte Dragon dann schließlich zur unverdienten Belohnung auch schnell wieder zurück auf die Weide.

Der Sommer wurde auf jeden Fall zum abwechslungsreichen Programm – ich durfte meine ersten Ausritte mit Dragon machen. Natürlich nicht alleine und im Nachhinein betrachtet ist es auch ein absolutes Wunder, dass Mami mich überhaupt vom Hof gelassen hat. Sie war schon immer sehr ängstlich und Marie, meine nette Begleitung für die meisten Ausritte, durfte sich im Vorfeld unzählige Belehrungen und Vorschriften anhören. Mein Glück, dass sie nach den ganzen Predigten wider Erwarten noch bereit war, mich das ein oder andere Mal mitzunehmen. Marie ritt ihr Pflegepferd Vicky und so gab es zwischen unseren Pferden glücklicherweise keine Differenzen. Unsere Ausritte waren im Großen und Ganzen sehr entspannend. Allerdings auch nur im Großen und Ganzen, denn ich kann mich noch genau an einen ganz bestimmten Ritt erinnern. Das Wetter war – wie in diesem Sommer generell – schön und sonnig. Marie und ich machten die Pferde fertig, ritten vom Hof, die Straße entlang zur Hauptstraße, überquerten diese und kamen schließlich über einen längeren Privatweg in den Wald. Ein kleiner Wald, aber absolut ausreichend für ein paar schöne Stunden zu Pferd. Im Wald gab es zwei Seen und an diesem Tag wollten wir das warme Wetter nutzen, um mit den Pferden ein bisschen planschen zu gehen. Endlich am See angekommen, mussten wir allerdings feststellen, dass nicht nur wir die tolle Idee hatten. Zwar waren keine anderen Pferde im Wasser, aber einige Kinder mit ihren Luftmatratzen und merkwürdigen anderen Wasserspielzeugen. Das konnte Marie und mich natürlich nicht abschrecken, und obwohl sie vier Jahre älter war, musste ich noch nicht einmal meine Überredungskünste anwenden, und so gingen wir die steile Böschung zum See hinunter. Da Vicky und Dragon nicht wirklich von unserem Plan überzeugt waren, stiegen wir vorsichtshalber ab und führten die Vierbeiner. Behutsam versuchten wir uns an den zahlreichen Leuten, die allesamt die Sonne oder das warme Wasser genossen, vorbeizumogeln. Dragon schaffte das mit dem „Ruhig, schön vorsichtig!“ allerdings nicht und zappelte – es müssen wohl die diversen Luftmatratzen gewesen sein, die ihn verunsicherten – unsanft hin und her. Dabei konnte er selbstverständlich auch keine Rücksicht auf zwei Mädchen unmittelbar neben uns nehmen. Lieblos trampelte er also über die hingebungsvoll dekorierten Decken im Sand und die zwei besagten Mädchen konnten froh sein, dass sie es schafften, noch rechtzeitig aufzuspringen, um die Flucht vor meinem wild gewordenen Schwarzen zu ergreifen. Die Flucht wollte Dragon im Übrigen ebenfalls nur zu gerne ergreifen. Das versuchte ich natürlich mit allen Mitteln zu verhindern, aber ich war total chancenlos. Dragon rempelte mich respektlos an und ich verstauchte mir den Knöchel. Auf solche unwichtigen und unwesentlichen Details konnte er in diesem Moment aber anscheinend keine Rücksicht nehmen und so rannte er die Böschung hinauf und übrig blieb eine Staubwolke von ihm. „Marie, du musst mein Pferd zurückholen. Schnell!“ Mein Tonfall war bestimmt nicht der Beste, denn statt sie höflich zu bitten, muss es sich in meiner Not und Sorge eher wie ein Befehl angehört haben. Selbst allerdings wahrscheinlich so geschockt von dem Vorfall und im Hinterkopf immer die Stimme von meiner Mami „Du bist die Ältere, pass bitte gut auf Britta und Dragon auf!“, schwang sich Marie aufs Pferd und ritt davon. Mein Fuß tat unglaublich weh und ich heulte wie ein Schlosshund. Nicht, weil mein Fuß so wehtat, sondern weil meine Angst um Dragon ins Unermessliche stieg. Ich dachte immer nur an die Hauptstraße, die er überqueren musste, um zum Hof zu gelangen, und die Wahrscheinlichkeit, dass er diese Richtung anstrebte, war ziemlich groß. Lahmend und heulend machte ich mich, komplett auf mich alleine gestellt, auf den langen Rückweg und betete. Eigentlich sah ich Dragon schon vor einem Auto kleben oder mit einem gebrochenen Bein im Straßengraben liegen, aber ich hatte Glück, denn Marie kam mir nach ungefähr einer halben Stunde mit samt meinem Pferd entgegengetrabt. Ich wusste gar nicht, wen ich vor lauter Freude und Erleichterung zuerst umarmen sollte. Letztendlich entschied ich mich dann natürlich für Dragon und begutachtete ihn noch an Ort und Stelle, um sicherzugehen, dass auch noch alles an ihm dran war. „Danke Marie! Wo hast du ihn denn wieder eingesammelt?“, fragte ich voller Dankbarkeit und Glück. „Er stand bei den anderen Pferden vorne am Hof vor der Hauptstraße“, antwortete sie, ebenfalls erleichtert und bestimmt auch ein bisschen stolz auf ihre Leistung. Der Ausritt war für diesen Tag allerdings gelaufen und so machten wir uns – alle ziemlich bleich und zittrig auf den Beinen – auf den Heimweg. Mami nahm uns selbstverständlich in Empfang und die aufregende Angelegenheit konnten wir weder verbergen noch verheimlichen, denn unsere Gesichtsausdrücke müssen so oder so schon Bände gesprochen haben. In allen Einzelheiten erstatteten wir also Bericht und bekamen zwar eine gehörige Standpauke zu hören, aber ein großes Donnerwetter blieb uns netterweise erspart. Die Sorge um Dragon und irgendwann im Anschluss sicherlich auch um mich und die Erleichterung über den glimpflichen Ausgang überwogen. Dies sollte selbstredend nicht der letzte Ausritt mit viel Wirbel und Aufregung sein, aber das wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht, hätten es bei Dragons Temperament aber durchaus ahnen und vermuten können.

Erst einmal stand jedoch der nächste Umzug an. Das Grundstück hinter unserem Haus und der geräumige Offenstall waren endlich fertig. Zuvor beschloss die gesamte Familie – sie bestand aus Mami, ihrem Freund Helge, seiner Tochter Rieke, meinem Bruder Ben und mir – jedoch: „Wir kaufen noch ein Pony, denn Dragon kann ja unmöglich alleine hier gehalten werden.“ In solchen Sachen waren vor allem Mami und ich natürlich kaum beziehungsweise gar nicht zu halten und voll in unserem Element. Als Dragon uns bei seinem Einzug dann auch noch ganz deutlich seine Empörung über den vorerst alleinigen Einzug zu verstehen gab, war klar, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Der uralte Hengst auf der Nachbarweide war nicht ansatzweise das, was sich unser kleiner Macho so vorstellte. Gesucht wurde also ein nettes „Zweitpony“ und selbstverständlich, ganz Dragons Wünschen entsprechend, sollte es eine kleine Stute sein. Die Zeitungen wurden durchforstet und wieder einmal unzählige Anrufe getätigt. Alles das, was wir eigentlich erst vor einigen Monaten hinter uns gebracht hatten, kam wie von selbst wieder ins Rollen – mit dem Unterschied, dass diesmal irgendwie alles viel leichter und schneller über die Bühne ging. Wahrscheinlich, weil wir nicht ansatzweise die Ansprüche stellten, die wir an unser „erstes Traumpferd“ gehabt hatten. Vor allem war ja auch klar, dass so etwas wie bei Dragon nicht mehr eintreffen könnte. Trotzdem freuten wir uns alle auf ein zweites Pony. Dragon wäre sicherlich auch gerne zum Besichtigungstermin einer 1,35 m großen Welsh-B-Stute mitgekommen, aber so gerne wir ihn auch mitgenommen hätten, fuhren Mami, Ben, Rieke und ich nach einem Telefonat aufgrund einer ansprechenden Zeitungsannonce alleine in das tiefste Wangerland. Wir fanden eine kleine, aber auch ziemlich kugelrunde Fuchsstute mit heller Mähne und einer großen Blesse vor. Sie hieß Panda und war ziemlich zutraulich. In den letzten zwei Jahren war sie so gut wie gar nicht geritten worden und das erklärte schließlich auch ihr Erscheinungsbild. Trotzdem ließ sie sich ohne Probleme putzen und vor allem auch reiten. Da unser „Zweitpony“ sozusagen auch gleich ein komplettes Familienpony darstellen sollte, war es wichtig, dass auch Rieke, vollkommen ohne Reitkenntnisse ausgestattet, mit der kleinen Stute zurechtkommen würde. Es schien alles super zu laufen, also warum lange warten?! Ruckzuck wurde der Kaufvertrag unterschrieben und Panda gleich mitgenommen. Da Mami in weiser Voraussicht Geld in der Tasche hatte und dann auch noch ein Fahrrad im Kofferraum, war es überhaupt kein Problem mit dem kleinen Pferd nach Hause zu reiten. Mami beschrieb Rieke und mir den Weg, vereinbarte den ein oder anderen Treffpunkt mit uns, um zu gucken, ob alles gut klappt, und schickte Rieke auf dem Fahrrad und mich auf Panda los. Zwischendurch wollten Rieke und ich dann mal tauschen, aber das war ihr dann irgendwie doch noch nicht so geheuer und so kam ich in den Genuss, den langen Ausritt bis nach Hause zu erleben. Für Panda war die ganze Angelegenheit sehr anstrengend und sie hätte sich nach dem Ritt sicherlich gerne ein bisschen ausgeruht, aber da war natürlich kein Denken dran, denn schon bei unserer Ankunft war Dragon vollkommen aus dem Häuschen und wollte die Kleine sofort ganz genau unter die Lupe nehmen. Glücklicherweise ließ Dragon uns zumindest den Hauch einer Chance, die Kleine unversehrt auf den Paddock zu bekommen. Anscheinend restlos entzückt von seiner neuen Bekanntschaft, verhielt er sich ausnahmsweise mal ziemlich pflegleicht und äußerst zuvorkommend gegenüber der niedlichen Welsh-B-Stute. Es schien so, als wäre er mit unserer Auswahl zufrieden, und so konnten wir den – wieder einmal – sehr ereignisreichen Tag entspannt mit einem Gläschen Sekt im Kreise der Familie und vor allem auch der Pferde ausklingen lassen. Angestoßen wurde selbstverständlich draußen in unmittelbarer Nähe unserer vierbeinigen Angehörigen.

Viel Zeit war seit dem Kauf unserer zwei Pferde ja noch nicht vergangen. Dragon kauften wir am 07. Februar 1995, zogen innerhalb weniger Monate zweimal mit ihm um und Panda ergänzte den Pferdebestand schließlich gut fünf Monate nach Dragons Kauf. Trotzdem, oder gerade deswegen, kann man sagen, dass die wenigen Monate wie im Flug vergingen, und es wurde zunehmend klar, dass ein Leben ohne Pferde, und vor allem ohne Dragon, undenkbar war.

Dragon und Panda bereiteten uns viel Freude. Dragons Interesse an der süßen Welsh-B-Stute wurde allerdings von Tag zu Tag geringer, sodass Panda sich notgedrungen um einen anderen Verehrer bemühen musste. Zielobjekt ihrer Begierde war der uralte Hengst namens El Bruso von der Nachbarweide. Die beiden verstanden sich über den Zaun hinweg blendend und umso schlimmer wurde für alle Beteiligten der Tod des altersschwachen Schimmels. Ich versuchte, Panda mit hartem Training abzulenken, denn, wer auch immer auf die Idee kam – wahrscheinlich war ich es wieder einmal selbst – beschloss, mit ihr am Ponyrennen in Hooksiel auf der – für unsere Umkreise hier sehr bekannten – Jaderennbahn teilzunehmen. Dies stellte sich als absolute Herausforderung für Panda, aber vor allem auch für mich, dar. Sie stand ungefähr zwei Jahre mehr oder weniger vollkommen nutzlos auf einer fetten Weide, war dementsprechend kugelrund und hatte null Komma null Kondition. Ich war nach wie vor erst elf Jahre alt – unglaublich; seit den ganzen einschneidenden Erlebnissen war noch nicht einmal ein ganzes Jahr vergangen – und konnte noch überhaupt nicht ohne Sattel reiten. Ohne Sattel reiten war allerdings oberste Bedingung und Vorraussetzung für unsere Teilnahme. Da ich die Anmeldung bereits erfolgreich abgegeben hatte, war das spontan Überlegte sofort in Angriff zu nehmen. Mir, und natürlich auch Panda, blieben ja noch ganze vier Wochen zum Start unseres ersten Rennens, um in Form zu kommen und unsere noch nicht vorhandene Fitness unter Beweis zu stellen. Wie sollte es anders sein, Mami wurde kurzerhand, selbstverständlich in Kooperation mit Dragon, zu unserer Trainerin ernannt. Das Training war mehr als hart. Das Motto hieß „drauf und los“ und wurde bereits morgens zwischen vier und fünf Uhr angestrebt. Dragon und Panda waren aber komischerweise um diese Uhrzeit immer schon ausgeschlafen und sehr unternehmungslustig. Mein Biorhythmus musste sich hingegen erst noch umstellen. Glücklicherweise nahmen mir die Ponys meine anfängliche Verschlafenheit nicht übel und zeigten mir schließlich schnell, wie es im richtigen Leben so zugeht. Nämlich, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit, immer vollen Einsatz zeigen, sonst wird das nichts. Die ersten „Ich reite ohne Sattel“-Versuche starteten meist mit lauten Hilferufen und endeten auch mit eben solchen. Um Pandas Hals geklammert rutschte ich hin und her auf dem blanken Ponyrücken und es war unvorstellbar, dass ich eine Runde um die Rennbahn unter diesen Umständen überleben könnte. Von Ausritt zu Ausritt wurden die Hilferufe schließlich immer leiser und nach gut drei Wochen machten mir auch Pandas selbst entschiedene Ausflüge ins Gebüsch – wohlgemerkt, um anscheinend auch den anderen Bewohnern unseres naheliegenden Waldes, nämlich den Rehen, einen angenehmen „Guten Morgen“ und „Schönen Start in den Tag“ zu wünschen – nur noch wenig aus, erstaunten mich allerdings jedes Mal wieder aufs Neue. Mami und Dragon bevorzugten stets die für unsere täglichen Ritte gängigen Strecken ohne besondere Hindernisse. Der Tag unseres großen Auftritts rückte immer näher und Mami war bei dem Gedanken, mich mit Panda um die Rennbahn jagen zu sehen, gar nicht wohl. Ich meine sogar, mich daran erinnern zu können, dass mir der Plan vom Ponyrennen krampfhaft versucht wurde auszureden. Mein Dickkopf war aber selbstredend stärker und so war es schließlich soweit, denn noch nicht einmal die Verletzungen von der vorherigen Woche konnten mich stoppen. Mein Arm war nach wie vor ziemlich blutig und mein Körper von oben bis unten mit blauen Flecken übersät. Schuld für diese doch sehr schmerzhaften und unschönen Verletzungen war ich im Endeffekt selbst, denn wie so oft konnte ich nicht hören. Mami gab mir an dem besagten Tag meiner zugezogenen Wunden die ausdrückliche Anweisung, die beiden Pferde nicht alleine vom Paddock zu holen, um sie schließlich am Putzplatz anzubinden und wie für jeden anderen unserer Trainingsausritte fertig zu machen. Die Ungeduld, sozusagen mein zweiter Vorname, überwog und so wartete ich nicht auf Mami – sie hatte zu dem Zeitpunkt den Mann ihres Vertrauens beziehungsweise den Mann unserer neuen Waschmaschine zu Gast – und holte Dragon und Panda vom Paddock, überquerte den eigens für Ben angefertigten Fußballplatz und war sozusagen schon fast am Anbindeplatz angekommen, als es plötzlich einen sehr lauten Knall gab, die Pferde als Fluchttiere auch die Flucht ergreifen wollten, ich über einen ungünstig platzierten Stein stolperte und zu Boden fiel, die beiden weder rechts noch links an mir vorbei konnten und so die Flucht nach vorne ergriffen und mich dabei – einer nach dem anderen – überrannten. Ohne Rücksicht auf Verluste waren Arme, Beine, Rücken und alles, was man sonst noch so an seinem Körper hat, betroffen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich eins meiner Gliedmaßen wieder ansatzweise bewegen konnte. Kam mir jedenfalls so vor, als wären Stunden vergangen. Glücklicherweise konnten die Pferde nur noch ein kleines Stück laufen, sodass ich sie, nachdem ich mich mühsam wieder auf die Beine gestellt hatte, einfangen und anbinden konnte. Anschließend lahmte ich ziemlich Blut überströmt ins Haus und wurde dazu genötigt, eine allumfassende Beichte abzulegen. Mami konnte, obwohl mein Anblick mehr als grauenvoll gewesen sein muss, nur wenig bis gar kein Mitleid aufbringen. Eigentlich war sie auch nur angesäuert, weil der geplante Ausritt ins Wasser zu fallen drohte. Nach dem Verarzten wollte sie zumindest nicht mehr los. Ich hingegen, hart im Nehmen, hatte auch meinen Stolz und wollte mir die Schmerzen natürlich nicht anmerken lassen und versicherte Mami deshalb, dass unserem Ritt nichts im Wege stünde. So zogen wir also von dannen beziehungsweise erst mal zu den Pferden, machten diese startklar zum Trainingsausritt und ritten los. Ich musste wirklich die Zähne zusammenbeißen. Frei nach dem Motto „Bloß nichts anmerken lassen“ oder „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Zurück zum Renntag. Panda, leider noch immer ziemlich ähnlich einem gut genährten Kugelfisch, und ich waren startklar. Dragon musste wider Willen zu Hause bleiben, drückte uns aber versprochenermaßen sämtliche Hüfchen. Die Fahrt war bereits so nervenaufreibend, dass ich befürchtete, den Ritt und großen Auftritt vor lauter Angst vor einer Blamage oder anderem nicht antreten zu können. Aber dann ging plötzlich alles ganz schnell und, ehe ich mich versah und noch länger darüber nachdenken konnte, war mein Pony ausgeladen, aufgetrenst und innerhalb weniger Minuten – zumindest kam es mir so vor als wären maximal nur drei Minuten seit unserer Ankunft vergangen – standen wir am Start mit ungefähr zehn anderen nervösen Ponys und den dazugehörigen Kindern. Oder wahrscheinlich war es doch eher umgekehrt und die Ponys standen mit ihren nervösen und hibbeligen Reitern am Start. Wie auch immer ... Der Startschuss fiel, Mami sicherlich auch, und zwar in Ohnmacht, und Panda rannte. Sie begriff sofort, worum es ging, und rannte so schnell, als würde es um ihr Leben gehen. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich fühlte mich auf meinem – laut Kommentartor Günther Lühring – kleinen „Hafermotor“ frei und vor allem auch gut aufgehoben. Es war so eine Art Verschmelzung zu einer Einheit mit gleichem Ziel. Siegen um jeden Preis. Dem hätte auch absolut nichts im Wege gestanden, wenn wir einfach nur ein bisschen mehr Kondition gehabt hätten. Ich sehe die Ponys auf der Zielstrecke, alle in etwa auf einer Geraden, noch genau vor mir und Panda, mit ihren letzten Reserven, gab alles, um uns als strahlende Sieger aus dem Rennen gehen zu lassen, aber leider reichte, wie bereits erwähnt, ihre nicht vorhandene Kondition nicht aus, um zu gewinnen. Trotzdem war ich stolz wie Oskar, denn zumindest bin ich oben geblieben und nicht vor ca. 5000 Zuschauern vom Pferd gefallen. Einen Pokal und eine schöne Schleife gab es ja dann auch noch. Mami war ebenfalls froh und erleichtert und dachte, dass der Spuk nach der Ehrenrunde endlich ein Ende habe. Hatte er auch, allerdings flog ich doch noch runter, und zwar im hohen Bogen nach der besagten Ehrenrunde auf dem Sattelplatz. Etwas lahmend wurde ich in etwa wie Panda verladen und es ging nach einem spannenden und aufregenden Tag ab nach Hause. Dragon wartete bereits und hörte sich die Story von mir und Panda bereitwillig mehrfach an, war aber so gütig, nicht vor lauter Gelächter zusammen zu brechen und alle Viere in die Luft zu strecken. Hätte er geahnt, dass er ebenfalls mal an solchen Projekten teilnehmen würde, hätte er sicherlich schon im Vorfeld die Flucht ergriffen, aber zu dem Zeitpunkt war weder Dragon noch mir klar, was noch alles so Spannendes auf uns zukommen würde.

Panda jedenfalls entpuppte sich nach unserem Rennen als das geborene Rennpony und war für gemütliche und entspannte Ausritte nicht mehr einsetzbar. Mami begleitete mich noch das ein oder andere Mal auf dem Fahrrad mit ihr, denn mit Dragon an unserer Seite gab es ohnehin nur noch Wettläufe. Aber selbst das Fahrrad behütete mich nicht vor geruhsamen Ritten, denn jedes Mal, wenn ein schnellerer Fahrradfahrer an uns vorbeikam, musste sie unter Beweis stellen, dass sie schneller war und ohne weiteres als Gewinnerin aus dem Rennen gehen konnte. Solche Machtkämpfe waren sehr anstrengend und so war der hereinbrechende Winter eine zuvorkommende Ausrede, um erst einmal etwas weniger mit ihr ins Gelände zu gehen.

Es wurde rasch ungemütlich und sehr kalt. Weihnachten verbrachten wir zu Hause und an meine Geschenke in diesem Jahr kann ich mich gar nicht mehr erinnern, denn für mich war Dragon ja sowieso das größte Geschenk auf Erden. Weihnachten verlief, wie eigentlich jedes Jahr, nur mittelmäßig entspannt und alle freuten sich auf Silvester. Die guten Vorsätze sollten doch im neuen Jahr mit großer Lust und Motivation umgesetzt werden. Das erste Silvester mit Dragon und natürlich auch mit Panda. Dragon war bereits in den Tagen zuvor schon leicht nervös und wir sorgten uns ein wenig um ihn. Im guten Glauben daran, ihn schon vor der Riesenknallerei in der Silvesternacht schonend auf das ganze Spektakel vorbereiten zu können, ließen wir im Vorfeld den ein oder anderen kleineren Knaller in die Luft gehen. Dragon beruhigte das überhaupt nicht und er wurde von Minute zu Minute unruhiger. Am Silvestertag legten wir den Ponys ihre Halfter um, befestigten ihre Plaketten zur Identifizierung am Halfter und beschrifteten diese mit unserer Adresse, um sicherzugehen, dass man die beiden für den Fall eines Ausbruchs wieder nach Hause bringen könnte. Dragon sprang wie wild und vollkommen hektisch, nahezu kopflos, über den gesamten Paddock. Panda, eigentlich wesentlich entspannter, ließ sich gerne anstecken und war dankbar für diese willkommene Abwechslung. Sie betrachtete das Ganze im Gegensatz zu Dragon wohl eher als Spiel. Für Dragon war die ganze Angelegenheit allerdings bitterer Ernst und nichts und niemand war in der Lage, ihn zu besänftigen. Noch war es ja hell und die Raketen kamen natürlich nicht ansatzweise so gut zur Geltung, wie es in der Nacht der Fall sein sollte. Vollkommen hilflos und absolut überfordert mit der Situation stand rasch fest, dass Silvester weder schön noch harmonisch über die Bühne gehen würde. Die doch sehr verschiedenen Ansichten über die Knallerei in unmittelbarer Nähe unserer vierbeinigen Familienangehörigen, führte zu den heftigsten Diskussionen zwischen Mami, Helge, Ben und mir. Rieke verdünnisierte sich in weiser Voraussicht zu einer Freundin, um dort ausgiebig zu feiern und das neue Jahr zu begrüßen. Während Ben und Helge ihrem männlichem Spieldrang nachgehen wollten – wobei das Verständnis für meinen neunjährigen Bruder eher vorhanden war als das für die Launen eines erwachsenen Mannes – waren Mami und ich in der Sorge und Angst um unsere Pferde komplett gegen die nutzlose Knallerei und hätten genau diese am liebsten auch in der gesamten Gegend untersagt. Uns war weder das eine noch das andere geglückt und so nahmen Abend und Nacht ihren Lauf. Getrennt feiernd verbrachten Ben und Helge Silvester mit ihren tollen Raketen auf der Straße, Mami und ich natürlich im Garten bei unseren Pferden. An ein Gläschen Sekt zur Begrüßung des neuen Jahres war kein Denken. Dragon war voller Panik und die vier Reihen Elektroband schreckten ihn im Gegensatz zu den Raketen – es war wirklich alles hell erleuchtet am glasklaren Sternenhimmel und natürlich schrecklich laut – wenig bis gar nicht ab. Immer wieder rannte er hektisch hin und her und nur die Schläge der Gerten hielten den komplett kopflosen Dragon zurück und verhinderten so wohl das Schlimmste. Mami und ich standen am Zaun und weinten, während wir immer wieder auf unsere Ponys einschlugen. Wir wollten den beiden natürlich nicht weh tun, obwohl wir das in dem Moment taten. Leider hatten wir einfach keine andere Wahl, denn, wenn wir Dragon und Panda nicht mit den Peitschen in Schach gehalten hätten, wären sie durch den Zaun gegangen und panisch und vollkommen ziellos abgehauen. Es sind halt Fluchttiere und Dragon sollte wohl noch ein bisschen mehr Fluchttier sein und bleiben als andere Pferde. Weit wären die zwei sicherlich ohnehin nicht gekommen, denn die Straße war so spiegelglatt, dass sich die beiden sämtliche Knochen gebrochen hätten, bevor sie jemand hätte einfangen können. Selbst Ben musste die Bekanntschaft mit der spiegelglatten Straße machen und war nach seinem Sturz nicht in der Lage, wieder alleine aufzustehen. Doch unglücklicherweise hatten weder Mami, noch ich unter diesen Umständen die Möglichkeit, ihm zu helfen. Von Helge war mittlerweile weit und breit keine Spur mehr. Er war so sauer und unzufrieden mit der Situation, dass er es seiner Tochter nachmachte und sich schnell verdünnisierte. Und so heulten und heulten Mami und ich ununterbrochen aus den verschiedensten Gründen und hofften, dass diese Nacht endlich ein Ende nehmen würde. Nach etlichen Stunden war dem auch so und alle trudelten nach und nach vollkommen fertig mit den Nerven und mit zugequollenen Augen – ebenfalls aus verschiedenen Gründen – im warmen Wohnzimmer ein. Dragon war inzwischen wieder ansatzweise zur Besinnung gekommen, Bens Wunden von dem Sturz verarztet, Helge endlich mit einem Gläschen Sekt besänftigt, Rieke wieder heile von ihrer Feier gelandet und Mami und ich nur erleichtert über den, Gott sei Dank, doch noch glimpflichen Ausgang dieser unbeschreiblichen, einfach nervenaufreibenden Silvesternacht. Soviel also zum Start ins Jahr 1996. Der Alltag kehrte trotz dieser unsagbaren Vorkommnisse in null Komma nichts ein und tatsächlich passierte den Januar über – einmal abgesehen von den üblichen Streitereien innerhalb der Familie – nichts Außergewöhnliches. Im Februar wurde selbstverständlich ausgiebig auf unser Einjähriges mit Dragon angestoßen und mehr oder weniger beschlossen, dass wir uns wohl oder übel von Panda trennen müssten. Dies wollte keiner so wirklich und ich natürlich schon mal gar nicht, aber zugegebenermaßen war die kleine Stute nach unserem Ausflug auf die Rennbahn tatsächlich nur noch als Rennpony brauchbar und erfüllte so keineswegs den Zweck eines lieben und ruhigen „Zweit- und Familienponys“. Angemerkt sei allerdings auch noch, dass die Beziehung zwischen Mami und ihrem Lebensgefährten ordentlich ins Bröckeln geriet, sodass ein Umzug in naher Zukunft wohl unumgänglich sein sollte. Fest stand natürlich, dass wir Dragon mitnehmen würden, fest stand aber eben auch, dass zwei Ponys aus finanzieller Sicht für Mami nicht tragbar waren. So verkauften wir die süße Welsh-B-Stute schließlich schweren Herzens etwa Anfang März und machten uns ebenfalls mit Sack und Pack vom Acker. Für Mami, Ben und mich ging es in einen nahe gelegenen Ort in ein schönes und komfortables Häuschen und für Dragon leider in einen Stall wieder einige Kilometer von uns entfernt. Das passte natürlich weder Mami noch mir in den Kram, denn wer will schon Rückschritte in puncto Pferdehaltung machen. Vorteil an der ganzen Sache war, dass auf dem Hof, den wir schon nach kürzerem Suchen für Dragon fanden, einige nette Kinder waren, mit denen ich eine Menge Spaß haben sollte. Allerdings nicht immer zur Beruhigung meiner Mami.

Dragon, mittlerweile ja schon an uns gewöhnt und bereits umzugserprobt, lebte sich wieder einmal schnell ein und durfte seinen Offenstall, den Paddock und eine mittelgroße Weide komplett für sich alleine beanspruchen. Er konnte natürlich alle anderen Pferde sehen und über den Zaun hinweg beschnuppern. Er stellte jedoch umgehend klar, dass dieser Kontakt zu den Artgenossen auch absolut ausreichend sei und er ansonsten eher ein Einzelgänger ist. Selbstverständlich respektierten wir seine Anordnungen und Wünsche. Es hört sich vielleicht etwas verblüffend an, aber Dragon hatte, von Anfang an eine Art an sich seine Bedürfnisse klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen, und so versuchten wir natürlich, es ihm in allen Punkten recht zu machen. Das Wohl meines Dragons war selbstverständlich oberste Priorität. Schule und Lernerei wurden für mich auch in diesem Sommer zur lästigen Begleiterscheinung und notgedrungenem Übel. Jede freie Minute wurde bei Dragon verbracht, die unzähligen Ausritte mit den Zwillingen vom Hof genossen und das warme Wetter wieder einmal vollkommen ausgenutzt für sämtliche Aktivitäten mit und zu Pferd.

Ich gehörte sozusagen schon mehr oder weniger zum Hofinventar oder eher gesagt wurde ich Irenes – sie war die Stallbesitzerin sowie Mutter der Zwillinge Yvonne und Karin und weiterer drei Kinder – „Adoptivtochter“. Sämtliche Planungen wurden gemeinsam getätigt und so stand auch die gemeinsame Überlegung in Planung, wieder zum Ponyrennen nach Hooksiel zu fahren. Diesmal wollte ich natürlich mit Dragon starten. Die Zwillinge hatten nur ein Pferd zur Auswahl und mussten sich um die Teilnahme am Rennen prügeln. Dies war ohnehin ihre Hauptbeschäftigung und wie fast immer gewann auch diesmal die Ältere. So sollte also Karin die alte Grauschimmelstute Samira, die eigentlich schon aus jeglichem Ponymaß – und das war normalerweise Voraussetzung für die Teilnahmeberechtigung – herausstach, reiten. Auch wenn ich selbstverständlich so tat, als wäre das Paar eine Konkurrenz, so wusste ich doch innerlich, dass die beiden niemals den Hauch einer Chance gegen Dragon und mich hatten. In meinen Gedanken war ich in diesem Jahr der Sieger und Liebling aller Journalisten unseres Umkreises. Unser Auftritt rückte näher und so machten sich alle Beteiligten und nicht Beteiligten mit eigens kreierten und extra fürs Rennen angefertigten T-Shirts mit dem selbst entworfenen „Hoflogo“ auf den Weg zur Jaderennbahn. Trotz meiner bereits gesammelten „Erfahrungen“ als Jockey war ich wieder mal vollkommen nervös und aus dem Häuschen. Die Atmosphäre an so einem besonderen Tag ist auch einfach unbeschreiblich. Auch in diesem Jahr war es Pflicht, ohne Sattel zu reiten, damit niemand bei einem eventuellen Sturz im Steigbügel hängen blieb. Ein Jahr war seit meinem ersten und letzten Rennen vergangen und mittlerweile war ich ja auch schon zwölf Jahre alt und so routiniert im „Ohne-Sattel-reiten“, dass ich noch nicht einmal richtig große Angst vor einem Absturz hatte. Diese Tatsache änderte sich jedoch schlagartig, als Mami Dragon und mich zum Start des Rennens führte, das Rennen freigegeben wurde, Dragon am Start stehen blieb, Mami ihm zur Motivation einen kräftigen Klaps auf seinen Allerwertesten gab und Dragon mit mir ein Rodeo veranstaltete, wie es im Buche nicht besser hätte stehen können. Er stand also am Start und buckelte ununterbrochen, sodass wir beinahe auch noch im nahegelegenen Graben gelandet wären. Wer zu diesem Zeitpunkt fertiger mit den Nerven war, sei dahingestellt. Mami machte sich wahrscheinlich Vorwürfe und gab sich die Schuld an dem Vorfall, den Zuschauern stockte wohl fast ausnahmslos der Atem und ich war damit beschäftigt, mich auf dem frisch gewaschenen und blanken Pferderücken zu halten und mich über die Tatsache einer Niederlage zu ärgern. Irgendwann berappelte sich Dragon dann doch noch und stürmte los. Da auch in diesem Jahr wieder einige „echte“ Rennponys mit am Start waren, hatten wir nicht die geringste Chance. Kampflos wollten wir aber dann doch nicht aufgeben und zumindest Karin und Samira sollten doch noch zu schlagen sein. „Samira mit ihrem Schaukelpferdgalopp. Die holen wir ganz bestimmt noch ein.“ Pustekuchen; kann man da nur sagen. Dragon und ich wurden zum Glück nicht Letzte, wenn ich mich richtig erinnere, waren wir 1996 Vorletzte, da das ein oder andere Paar doch noch im Graben landete oder das Pony schon vorzeitig Richtung Ausgang abbog, aber dennoch verloren wir den erbitterten Kampf gegen Karin auf Samira. Wenn es nur das gewesen wäre, aber nein. Die beiden wurden durch unglückliche Umstände der anderen Starter auch noch Erste. Und das bei Samiras langsamen und gemütlichen Schaukelpferdgalopp. Das war definitiv zuviel für meine zarten Nerven und noch schlimmer war natürlich, dass ich mir nichts anmerken lassen durfte. Schließlich führten wir den Wettstreit zwischen uns und unseren Pferden selbstverständlich nicht offiziell. Trost war für mich allerdings die Tatsache, dass Dragon mit Abstand der schönste und tollste Teilnehmer am Ponyrennen und überhaupt der ganzen Veranstaltung an diesem Tag war. Klar, nun denken alle, dass ich ja sowieso total voreingenommen bin, aber die Bestätigung für das schönste und tollste Pferd kam tatsächlich auch von vielen anderen Menschen. Es kann sich aber auch keiner Dragons Auftreten vorstellen. Schon bei der Ankunft benahm er sich, als wäre er der Favorit höchstpersönlich, und selbst bei der Siegerehrung, bei der wir uns nach unserem verpatzten Auftritt mal lieber im Hintergrund gehalten hätten, benahm er sich wie der haushohe Gewinner. Er war so überzeugt von sich und zog mit seiner Ausstrahlung „Hier bin ich und ihr habt alle nur auf mich gewartet“, den großen Augen und seinem edlen Kopf nicht nur die eingefleischten Pferdeleute in seinen Bann. Bei der Ehrenrunde zeigte Dragon dann auch wirklich, was er so drauf hatte, und ließ alle anderen Ponys stehen und blass aussehen. Er hatte sich sozusagen warm gelaufen und ich war so unvorbereitet, dass ich bei Ankunft auf dem Sattelplatz – wie im Vorjahr – in hohem Bogen herunterflog. Auch diesmal blieb mir diese Blamage vor den rund 5 000 Zuschauern erspart. Die Blamage, nach der Niederlage in Bezug auf Karin und Samira schließlich auch noch vom Pferd zu fliegen, war so groß, dass ich eigentlich nur noch nach Hause ins Bett wollte, um erst einmal eine, oder doch lieber mehrere, Runden zu heulen. Karin kann man beim besten Willen keine Vorwürfe machen, denn sie verhielt sich nach dem Rennen sehr diskret und kollegial mir gegenüber, sodass der Tag für Dragon und mich schnell in Vergessenheit geriet beziehungsweise nicht mit negativen, sondern eher mit lustigen Erinnerungen in Verbindung gebracht werden konnte. Mittlerweile hatte ich also sozusagen meine Heulattacken hinter mir und mein Lachen wiedergefunden. Nach diesem größeren Ereignis stand auch schon bald das nächste größere Ereignis an.

Die etlichen Kilometer mehrmals täglich zum doch relativ weit entfernten Hof von Irene und ihrer Familie wurde zur ziemlichen Belastung und Strapaze, denn schließlich gab es nicht nur Mami, Dragon und mich, sondern nach wie vor ebenfalls noch meinen Bruder, der auch das ein oder andere Bedürfnis hatte. Zu seinen Bedürfnissen zählten allerdings – und in dieser Hinsicht kann man nur sagen zum Glück – keinesfalls Pferde, denn Ben hat Asthma und leidet an sämtlichen Allergien. So kam uns die Bekanntmachung durch eine – in etwa meinem Alter entsprechende – Stallkollegin auf Irenes Hof namens Jana – sie nahm übrigens auch am Rennen in Hooksiel teil, hatte aber ebenfalls nur mäßigen Erfolg mit ihrem Pflegepferd – sehr gelegen. Sie erzählte uns, dass Lars Oltmann und Helga Janssen ihren Traum vom gemeinsamen Pferdehof aufgegeben hatten, Helga aber mittlerweile, und zwar direkt in unserem Ort, nur einen knappen Kilometer von unserem Haus entfernt, im Inbegriff war, auf dem Hof ihres Vaters eine neue kleine Stallgemeinschaft aufzubauen. So fassten wir mit Jana den Beschluss, mit ihr und ihrem gerade erst gekauften Jungpferd namens Japo den Stall zu wechseln. Wir stellten uns kurzerhand mal wieder bei Helga – sie kannte Dragon und uns ja selbstverständlich noch – vor und unserem beziehungsweise Dragons nächstem Umzug stand nichts mehr im Wege. Jana und Japo waren bei den Umzugsvorbereitungen auch mit von der Partie. Leider ging das im Großen und Ganzen doch sehr liebevolle und freundschaftliche Verhältnis zu Irene bei unserem Auszug durch kleinere, nicht erwähnenswerte Bagatellen in die Brüche. So nahm dieses Kapitel Dragons und meiner bisherigen Laufbahn eher ein unschönes Ende, aber wie Mami mir schon seit Jahr und Tag predigte „Aus jeder Niederlage nimmt man auch was Positives mit“. Damit – und da Dragon nur knapp einen Kilometer von uns entfernt stand und ich endlich die Möglichkeit hatte, mit dem Fahrrad zu ihm fahren zu können, und nicht den ganzen Tag auf Mamis Fahrbereitschaft angewiesen war – hatte sie wie so oft Recht, und außerdem passten Dragon und ich uns so schnell an unsere neue Umgebung an, dass ohnehin kein Platz und vor allem auch keine Zeit für negative Gedanken war.

Die schöne und angenehme Zeit des Sommers ging zur Neige und wir bereiteten uns schon seelisch auf den Winter und somit auch auf die nächste Silvesternacht vor. Wobei die vorweihnachtliche Phase in der, zu dem Zeitpunkt, noch kleinen und persönlichen Stallgemeinschaft sehr besinnlich war und regelmäßig mit schönem heißen Glühwein begangen wurde. Ich habe im September Geburtstag und war mittlerweile also bereits dreizehn Jahre alt. Im Nachhinein betrachtet sicherlich nicht das optimale Alter, um mit Alkohol anzufangen – hier sei erwähnt, dass meine Tochter später so etwas nicht darf – durfte ich, natürlich unter strenger Aufsicht meiner Mami, schon einmal in den Genuss des ein oder anderen kleinen Bechers Glühwein kommen. Es hat mir, würde ich zumindest behaupten, nicht geschadet. Dragon hatte auch auf diesem Hof sein eigenes Reich – nachdem er uns deutlich gemacht hatte, dass Japo überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach und er ihn deshalb förmlich durch sämtliche Zäune zumindest aber regelmäßig vom Futter wegjagte – und nach wie vor seinen Offenstall. Diesmal sollte es für uns in puncto Silvester jedoch wesentlich angenehmer werden, denn glücklicherweise waren noch etliche Boxen auf Helgas Hof frei, sodass wir Dragon einsperren konnten – in der Hoffnung, dass er so die baldige Nacht besser überstehen würde. Unseren Vorstellungen entsprechend verlief in besagter Nacht alles zu unserer Zufriedenheit. Wir verbrachten jedoch – wie sollte es anders sein – die Silvesternacht beziehungsweise den Jahreswechsel mit Dragon im Stall, um ihm Hüfchen zu halten und beizustehen. Ben war von der Aktion weniger begeistert, kam um die Tortur jedoch nicht herum. Im Jahre 1997 angelangt, bestand der gute Vorsatz für dieses Jahr darin, nicht mehr so schnell umzuziehen. Weder Familie Haupt mit oder ohne Dragon, noch Dragon als eigenständiges Wesen.

An dieser Stelle sei schon einmal vorweggenommen, dass wir diesen guten Vorsatz auch tatsächlich einhielten. In diesem Jahr machte ich viele neue Bekanntschaften. Der direkt am Hof anschließende kleine Wald, der uns von früher noch gut bekannt war, lud zu zahlreichen schönen Ausritten ein. Ganz alleine durfte ich allerdings zu dem Zeitpunkt noch nicht ausreiten. Mami war der Ansicht, dass dies viel zu gefährlich sei, da mir ja durchaus etwas passieren könnte und es dann keiner mitbekommen würde. Tja, in dem modernen Zeitalter der Handytechnologie waren wir halt noch nicht wirklich angelangt.

So begleitete sie Dragon und mich, wenn sich kein anderes Opfer finden ließ, immer und immer wieder mit ihrem Fahrrad durch den Wald. Dragon gewöhnte sich sehr schnell an das Fahrrad und forderte Mami unzählige Male zu einem Wettrennen auf dem Drahtesel heraus.

Die Wettrennen mit Gesa auf ihrem Smocky und mit Tomke auf ihrem Pony Max waren jedoch immer wesentlich vielversprechender und noch um einiges schneller. Dragon gewann so gut wie immer und wenn er lospeste, sah man meist nur noch eine Staubwolke von uns beziehungsweise hatten alle hinter uns nur noch Dreck und Matsche im Gesicht – ganz nach Wetterlage. So dauerte es natürlich nicht lange, bis der Gedanke wie von alleine wieder auf das jährliche Ponyrennen in Hooksiel fiel. Es war ein Leichtes für mich, Gesa und Tomke, die ich etwa Anfang des Jahres kennen lernte, mit meiner Begeisterung anzustecken, und so wurden Pläne geschmiedet, Strategien entwickelt und permanent fürs Rennen trainiert. Mit meiner bereits vorhandenen „Jockey-Erfahrung“ konnte ich selbstverständlich punkten und fühlte mich wie der Profi höchstpersönlich. In dieser Angelegenheit musste wohl Dragons Selbstbewusstsein auf mich abgefärbt haben. Der komplette Sommer wurde fast unerträglich heiß, aber es gab tatsächlich noch eine Steigerung der großen Dürre. Natürlich am Renntag, sodass ich für meinen Teil der Meinung war, die ganze Sache abzublasen. Meine Begeisterung und die wochenlange Vorfreude auf diesen Tag, mein bereits drittes Rennen, ließen mich jedoch sämtliche Zweifel in Bezug auf die Hitze und die damit verbundenen Strapazen für Dragon, unsere treuen Begleiter, sprich Mami, Ben, ein paar Freunde und der ein oder andere Bekannte, und natürlich mich vollkommen vergessen. Selbst Mami, die dachte, dass sie mit ihrer Weisheit und den klugen Ratschlägen, das Rennen lieber ausfallen zu lassen, gegen mich ankommen könnte, wurde maßlos enttäuscht und so fieberte auch sie dem aufregenden Ereignis entgegen – in der Hoffnung, dass ich diesmal nicht vom Pferd fallen und das Rennen ohne Knochenbrüche und ähnlichem überleben würde. Gesa und Tomke waren mit von der Partie, denn auch sie konnten die Vernunft und der Verstand nicht stoppen. Mit den beiden an meiner Seite wurde das Ponyrennen noch spannender, denn wir konnten uns gegenseitig so hoch schaukeln, dass wir im Endeffekt gar nicht mehr wussten, ob wir Freunde oder Feinde waren. Gesa startete mit Smoky allerdings schon im ersten Ponyrennen, da ihr Pony vom Stockmaß her ein bisschen kleiner war. So konnten Tomke und ich zugucken und zumindest ihr die Daumen drücken. Schließlich hofften wir ja, dass unser hartes Training etwas gebracht hatte. Wir standen also mit Dragon und Max auf dem Sattel- und Abreiteplatz direkt am Eingang beziehungsweise Ausgang des Geläufs. Punkt 14 Uhr viel der Startschuss und für Smoky muss die Konstellation mit den ganzen anderen Ponys wohl sehr ungewohnt gewesen sein, denn sonst waren es doch immer seine Kumpels, Max und Dragon, gewesen, mit denen er um die Wette laufen durfte, konnte und letztendlich auch sollte. Na ja, er muss sich anscheinend gedacht haben, wenn alle rennen, renne ich am besten mit. So donnerten die kleinen Hüfchen der neun Starterponys über die Grasrennbahn und in Windeseile schoss der eifrige Smoky an uns vorbei, hängte den ein oder anderen Teilnehmer am Ausgang ab und schaffte es mit seinem Ergeiz – der Hitze zum Trotz – auf den vierten Platz. Gesa konnte ihr Glück kaum fassen, nahm voller Stolz den gewonnenen Pokal und die Schleife entgegen und analysierte im Nachhinein jeden einzelnen Galoppsprung ihres Vierbeiners mit Tomke und mir. Dies lenkte Tomke und mich ein wenig von unserem noch ausstehenden Rennen ab, ließ uns gleichzeitig und parallel dazu aber auch irgendwie immer nervöser werden. In unserer Not beschlossen Tomke und ich, statt Konkurrenten doch lieber Mitbewerber zu sein und verbündeten und verschworen uns gegen die restlichen Teilnehmer. Gesa, mittlerweile wieder sehr entspannt und vor allem auch zufrieden mit der Leistung von Smoky, konnte dem Start unseres Rennens um 16:25 Uhr locker entgegensehen und versuchte, uns Mut zu machen. Meine „Rennerfahrung“, die ich doch im Vorfeld so angepriesen hatte, ging gegen Null und die Angst vor einer Blamage stieg mal wieder bis ins Unendliche. Wenn wir wenigsten pünktlich hätten starten können! Aber nein, es musste sich ja auch noch alles verzögern und nach hinten verschieben! Und dann immer wieder die Überlegungen, ob man sein Pferd jetzt schon genug warm geritten oder doch bereits total überfordert hatte mit dem ein oder anderen Galoppversuch auf dem Abreiteplatz. Einfach schrecklich diese Gedanken, aber dann ging es für Tomke und mich auch endlich los. Das Gefühl, mit seinem Pony vor wieder einmal ca. 5 000 Zuschauern das Geläuf in Richtung Start zu betreten, ist nahezu unbeschreiblich. Dragon stach mit seiner Optik und seiner grenzenlos umwerfenden Ausstrahlung natürlich jedes Mal aus dem Rahmen und man hörte die Leute immer und immer wieder über ihn, „das wahnsinnig schöne Pferd“, reden. Er verhielt sich unglaublich wild, war voller Feuer und es wirkte so, als wäre er kaum bis gar nicht zu bändigen. Obwohl er kräftiger und schwerer war als die diversen Rennponys – mit einem Aussehen ähnlich einem fast verhungerten Windhund – ging er als absoluter Favorit an die Startlinie. Wie bereits in meinen zwei vorherigen Rennen, waren auch diesmal der Start und der damit verbundene Startschuss sehr unkontrolliert und hektisch. Von jetzt auf gleich – meistens nach der stundenlangen Vorrede, die einen im Übrigen ohnehin fast zum Nervenzusammenbruch gebracht hatte – waren alle Teilnehmer wild und unstrukturiert verteilt. Diesmal waren Dragon und ich bei dem Startschuss gerade in einer Volte und mit dem Gesicht in die völlig verkehrte Richtung gestellt. Dennoch galoppierte auch mein Pferd los und die ersten, sagen wir mal in etwa, 200 m sah auch noch alles ganz vielversprechend aus bis Dragon allerdings merkte, dass es eigentlich viel zu heiß für ein Rennen in dieser Ausführung war. So mäßigte er sein Tempo in null Komma nichts, ließ sich auf den letzten – vielleicht war es auch der vorletzte – Platz zurückfallen und galoppierte in aller Seelenruhe seine Runde. Ich konnte ihm ja dankbar sein, dass er überhaupt im Galopp geblieben war, denn sämtliche Versuche meinerseits, ihn an- und vorwärts zu treiben, scheiterten kläglich. Der unzähmbare und wildgewordene Favorit entpuppte sich als absolute Niete und wurde selbst durch den Kommentator zum direkten Außenseiter gewählt. Die Aussage des besagten Kommentators wird mir wohl mein Leben lang unvergessen bleiben: „Und der Letzte ruft bei diesen Temperaturen auch schon nach einem Glas Wasser“. Selbst, wenn ich vor diesen vielen Zuschauern nicht vom Pferd gefallen bin, so stellte sich der Renntag am 10. August 1997 doch als Blamage heraus. Das Glück war aber irgendwie dann doch noch mit den Doofen, in diesem Fall allerdings wohl eher Lahmen, und Dragon und ich schafften es von acht Teilnehmern auf Platz sechs. Selbst Tomke mit Max, die eigentlich das komplette Rennen vor mir lag, ging hinter uns über die Zielgerade. Selbst für uns gab es dann noch einen Pokal und eine Schleife. Dragon, sich keiner Schuld bewusst, stolzierte am Ziel auf und ab, schmiss sich sämtlichen Fotografen vor die Kamera, als wäre er das wertvollste und schnellste Rennpferd höchstpersönlich. Dass er schnell sein konnte und im Endeffekt mehr Power hatte als die Rennponys, bewies er sich und allen anderen dann auch bei der Ehrenrunde. Er ließ alle hinter sich, sodass die Zuschauer und ich nur staunen konnten. Auf einmal war der Favorit beziehungsweise der Außenseiter oder umgekehrt ganz vorne. Dies tröstete mich über unsere vermeintliche Niederlage umgehend hinweg und durch diese Aktion wurde Dragon, sogar mit mir als Reiterin, tatsächlich noch zum Objekt der Begierde der Fotografen. In diesem Jahr entstand ein Foto von uns beiden, das noch heute in meinem Schlafzimmer hängt und mich immer wieder an mein ausdrucksstarkes und wunderschönes Kraftpaket mit der unsagbaren Eleganz erinnert. Das Foto kam sogar mit einem ausführlichen Bericht über Dragon und mich in die Zeitung. Voller Stolz und Zufriedenheit konnten Tomke, Gesa und ich den Tag mit unseren geliebten Vierbeinern ausklingen lassen. Wir hatten zwar alle einen kleinen oder doch etwas größeren Sonnenstich aufgrund der Hitze, aber dafür einen aufregenden, spannenden, lustigen und schönen Tag voller Ereignisse.

Am nächsten Tag begann dann allerdings auch schon wieder der tatsächliche Ernst des Lebens – zumindest für diesen Zeitpunkt – und ließ die sechswöchigen Sommerferien mit dem Höhepunkt und abschließendem Ponyrennen am Vortag in weite Ferne rücken. Am zweiten Schultag nach den Sommerferien machte ich auf meiner Schule, dem Mariengymnasium in Jever, mit folgendem Zeitungsartikel auf mich aufmerksam.

 

NORDWEST-ZEITUNG Dienstag, den 12. August 1997

Das Bild von Dragon und mir wurde im Übrigen direkt neben dem Bild der Prominenz gedruckt mit diesem Untertitel:

Britta Haupt und ihr Pony Dragon schafften keinen Sieg. Aber für die junge Grafschafterin war das Dabeisein alles. Zu den interessierten Zuschauern gehörte CDU-Landesvorsitzender Christian Wulff, der von Inse-Marie Ortgies und Erich Maaß begleitet wurde.

 

Und nun der eigentliche Artikel:

Dragon bleibt immer gelassen

Britta Haupt und ihr Ponywallach beim Rennen in Hooksiel dabei

tz Hooksiel. Das höchste Glück der Erde liegt für die 13jährige Britta Haupt aus Grafschaft auf dem Rücken ihres dunkelbraunen Ponywallachs Dragon. Mit sechs Monaten saß sie, freilich noch mit Windelpopo und Mama, auf einem Pferderücken. Wahrscheinlich hat sie sich damals schon mit dem Virus infiziert, das sich Pferdeliebe nennt.

Inzwischen ist Britta ein echter Pferdefan und verbringt ihre Tage ausschließlich mit Dragon. Schon vor der Schule fährt die Grafschafterin in den Stall, um ihren Wallach zu versorgen. Am Sonntag ist sie sogar noch früher aufgestanden, denn sie war viel zu aufgeregt, um noch länger in den Federn zu liegen. Schließlich sollte es auf die Jaderennbahn gehen. Bereits zum zweiten Mal hatte sich Britta zum Ponyrennen angemeldet. Beim ersten Versuch hatte ihr Dragon allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil er das Rennen mit einem Rodeo verwechselt hatte. Der Wallach stand buckelnd am Start. Doch auch Britta machte einem Westernreiter alle Ehre und fiel trotz Dragons Eskapaden nicht vom blanken Ponyrücken. Übrigens, die Miniaturjockeys reiten immer ohne Sattel, weil es sicherer ist und niemand bei einem eventuellen Sturz im Steigbügel hängen bleiben kann. „Heute ist Dragon irgendwie besonders rutschig“, so Britta und nutzt die Gelegenheit zu einem Galopp. So vertreibt man sich die Langeweile und Dragon die Flausen aus dem Kopf. Endlich ist es soweit. Dragon und Britta gehen an den Start. Große Chancen rechnen sie sich allerdings nicht aus, da einige echte Rennponys ins Rennen gehen. Der braune Wallach hingegen ist ein echtes Feld-Wald- und Wiesenpony mit dem Gemüt eines Schaukelpferdes. So schnell bringt ihn nichts aus der Ruhe. Und während neben ihm eine durchtrainierte Stute vor Aufregung erst einmal umfällt, bleibt er gelassen. Dass er nur Fünfter wird, stört weder ihn noch seine Besitzerin. Im Gegenteil, Britta strahlt und lobt den Braunen.

Also gut, der Artikel ist nicht annähernd so geworden, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, und beschreibt Dragon und mich nicht einmal ansatzweise richtig, aber dennoch war ich mächtig stolz, überhaupt mit ihm in die Zeitung gekommen zu sein.

Für die meisten war mein Pferdefaible nichts Neues und im Prinzip deklarierte ich mich damit mehr oder weniger selbst zum Außenseiter, denn die oberste Priorität für mich war immer und ausschließlich nur Dragon. Sämtliche Angebote meiner Mitschülerinnen, irgendetwas mit ihnen zu unternehmen, schlug ich ununterbrochen aus und wurde irgendwann letztendlich gar nicht mehr eingeladen und integriert. Andere gaben ihr Geld halt für Klamotten, Kinobesuche und ähnliche Dinge aus, während ich entweder wichtige und notwendige Sachen für Dragon kaufte oder Geld für die nächste Tierarztrechnung zurücklegte. Dies zog sich über Jahre so hin und erst viel später lernte ich Dragon, Schule und sogar noch Freunde, außerhalb meiner Pferdebekanntschaften und Leute, unter einen Hut zu bringen.

Von den Sommerferien schleppte ich mich zu den Herbstferien, um mich anschließend auf die Winterferien vorbereiten zu können. Ich glaube im Übrigen, dass die Lehrer das auch nicht anders gehandhabt haben. Meine schulischen Leistungen und die damit verbundene Einstellung ließen sicherlich etwas zu wünschen übrig, aber dafür wurde Dragon immer gut versorgt und ausgiebig verwöhnt. Selbst der Unterricht außerhalb der Schule, und zwar der Reitunterricht, konnte mich im direkten Vergleich zum Schulunterricht zwar eher überzeugen, aber ebenfalls nicht zu hundert Prozent. Der gute Wille, mit Dragon reiterliche Fortschritte zu machen, war da, allerdings wohl auch nicht so, wie es hätte sein sollen. Ich kann mich noch an die unzähligen Dressur- und Springstunden bei Claudia, einer Hobbyreitlehrerin mit eigenem Westernpferd auf Helgas Hof, erinnern. Die Springstunden sagten Dragon und mir immer viel mehr zu, aber die Predigten „ohne Dressur kein Springen“ wurden uns regelmäßig zum Verhängnis. Wenn Mami sich an diese Reitstunden zurück erinnert, weiß sie noch ganz genau, dass sowohl meinem Pony, als auch mir nur beim Anblick des Dressurplatzes das Gesicht sprichwörtlich herunterfiel. Dragon mochte unsere Reitlehrerin oder eher und besser gesagt ihre Stimme beziehungsweise ihren Tonfall überhaupt nicht. Sie hörte sich an wie ein Mann und ihre Tätigkeit bei der Bundeswehr erklärte ihren Kommandoton. Im Laufe der Jahre lernte ich, nicht immer alles so hinzunehmen und klar und deutlich zu sagen, was mir nicht passte, wenn mir etwas nicht passte. Dies führte zu etlichen Diskussionen mit Claudia und sie hatte die Nase gestrichen voll, permanent mit mir über irgendwelche Übungen und Trainingseinheiten zu streiten. Außerhalb des Reitplatzes und speziell des Dressurplatzes verstanden wir uns deutlich besser und auch beim Springtraining lagen Dragon, Claudia und ich eher auf einer Wellenlänge. Trotz der unendlichen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten hielt Claudia mich, zumindest hin und wieder, für eine talentierte Reiterin und machte mir Mut, mal an dem ein oder anderem kleineren Turnier in unserer Umgebung teilzunehmen. Bis dato hatte ich das einzige Turnier, an dem Dragon und ich bisher teilgenommen hatten, erfolgreich aus meinen Erinnerungen verdrängt – es kam mir bei Claudias Vorschlag allerdings wieder unumgänglich ins Gedächtnis. Es war an einem Sonntag, dem 06. August 1995. Dragon stand ja schon nicht mehr auf dem Hof von Frau Schulz, aber genau dort wurde ein kleines Vereinsturnier ausgerichtet, an dem ich mit meinem jugendlichen Ehrgeiz trotz der vorhandenen Differenzen mit der besagten Frau Schulz gerne teilnehmen wollte. Es sollte ein einfacher Reiterwettbewerb sein und unsere Chancen standen eigentlich sehr gut, bis sich meine ehemalige Reitlehrerin in die Reihenfolge der Teilnehmer einmischte und den Richtern sagte, dass Dragon, weil er ja so lange Hengst war und nicht hinter Stuten herlaufen könnte, ganz nach vorne müsste, um die Truppe anzuführen. Dies war natürlich schlicht und ergreifend gelogen, denn sie wusste durch den Reitunterricht ganz genau, dass Dragon in diesem Punkt sehr umgänglich war. Wie auch immer. Die Richter glaubten ihr und ich musste am Anfang der Gruppe reiten. Wir waren insgesamt sechs Teilnehmer und auf die verantwortungsvolle Aufgabe vorweg zu reiten war ich keineswegs vorbereitet. Ich gab natürlich mein Bestes, scheiterte jedoch an den einfachsten Übungen. Dragon sprang aus dem extra fürs Turnier abgegrenzten Dressurviereck und fing das ein oder andere Mal an zu bocken. Die Zuschauer waren schon damals von meiner Sattelfestigkeit beeindruckt und waren der Ansicht, dass ich dafür ganz locker einen sehr guten Platz verdient hatte, die Richter hingegen waren jedoch anderer Ansicht und so durfte ich mich über einen fünften Platz freuen. Mein komplettes Weltbild geriet zu diesem Zeitpunkt ins Schwanken und meiner Meinung nach wurde ich mit der Ungerechtigkeit höchstpersönlich bekannt gemacht. Ich war zutiefst getroffen und an dem Tag beschloss ich, das Kapitel Frau Schulz endgültig aus meinem Leben zu streichen. Wie bereits erwähnt, es fiel mir ja auch erst wieder bei Claudias Vorschlag ein.

In der Winterpause hatte ich genügend Zeit, um meine Karriere als Turnierreiterin mit Schwerpunkt Springreiterei zu überdenken. Wenn es auf der Rennbahn schon nicht klappen sollte, warum dann nicht mal was anderes ausprobieren, dachte ich spaßeshalber.

Die Glühweinzeit im Stall mit den ganzen – mittlerweile auch einigen neuen – Stallkollegen war einfach wieder traumhaft schön und gemütlich, auch wenn uns vieles in puncto Pferdehaltung und Versorgung gegen den Strich ging. Nicht zuletzt deswegen besorgten Mami und ich noch gesondert Heu. Das staubige und muffelige Futter vom Stall war unserer Ansicht nach nämlich nicht zumutbar für die Pferde. Mit unseren Äußerungen machten wir uns natürlich nicht nur Freunde. Alle hielten uns für überempfindlich und durchgeknallt. Den Husten ihrer Vierbeiner schoben sie dann immer und immer wieder auf den Fellwechsel. Noch nicht einmal der Tierarzt schaffte es, ihnen diesen absurden Kram auszureden. Klar, es war ja auch viel bequemer, an so etwas festzuhalten, als sich mal konsequent um besseres Heu zu kümmern. Mami und ich gaben irgendwann auf und ignorierten die grob fahrlässigen Meinungen der anderen Pferdebesitzer. Wir für unseren Teil achteten peinlichst genau auf das Futter für Dragon und nahmen sogar in Kauf, alles doppelt und dreifach zu bezahlen, denn obwohl wir kein Heu mehr vom Stall fütterten, wurden wir dazu angehalten, die komplette Stallmiete zu bezahlen. Durch das selbst gekaufte Heu läpperten sich die monatlichen Ausgaben für Dragon sehr schnell. Aber es war von Anfang an so und sollte auch nicht anders sein „für Dragon nur das Beste“. Obwohl wir auf dem Hof total umstritten waren, fragten uns komischerweise sämtliche Leute, ob wir uns beispielsweise als Urlaubsvertretung um ihre geliebten Pferde kümmern könnten. Letztendlich wussten natürlich alle, dass wir so etwas sehr ernst nahmen und die Vierbeiner bei uns in liebevollen und vor allem auch verantwortungsvollen Händen waren.

Die Nacht der Nächte – es geht wieder einmal um den Jahreswechsel – rückte immer näher und Dragons Panikattacken brachen inzwischen schon einige Tage zuvor – sozusagen mit den ersten Probeknallern diverser Kinder in der näheren Umgebung – aus.

Aber mittlerweile hatten wir festgestellt, dass nicht nur Silvester für mein Pony zur absoluten Belastungsprobe wurde. Helgas Vater, ein leidenschaftlicher Jäger, sorgte in der Jagdsaison mit seinen Jägerfreunden regelmäßig für Stress und Hektik, denn Dragon hasste Jäger und erkannte diese immer schon auf hundert Kilometer Entfernung. Er wurde beim Anblick dieser grün uniformierten Männer zur wilden, fast unzähmbaren Bestie. Hinzu kam auch noch, dass er grün und grün fabelhaft unterscheiden konnte, denn nicht jeder Mann mit einer grünen Jacke stellte eine Gefahr für ihn dar. Es waren lediglich die Jäger, die ihn komplett in Unruhe versetzten. Ich versuchte seine Panik zu analysieren und wollte unbedingt herausfinden, was in seinem früheren Leben vorgefallen war. Warum machten ihn die Jäger so nervös? Und was hatte es eigentlich mit Silvester auf sich? Hatte er etwa mal was Böses erlebt oder wurde er sogar mal von einer Rakete getroffen? Fragen über Fragen, doch bis heute konnte ich keine Antworten finden, dabei nahm ich damals unter anderem deswegen extra Kontakt zu Dragons Vorbesitzern auf. Auch Männer generell waren Dragon eher unangenehm. Selbst unser damaliger Hausarzt, mit dem Mami im Übrigen auch ganz gut befreundet war, stellte fest, dass er mit Dragon nicht ganz auf einen Nenner kommen würde. Wir besaßen Dragon erst ein paar Tage und wollten Frank Seidler, dem besagten Hausarzt, voller Stolz unser neues Familienmitglied vorstellen. Er machte also die Boxentür auf, wollte Dragon sanft und höflich begrüßen, als dieser erst seinen Kopf wegdrehte und plötzlich mit seinem Hinterteil zu Frank stand. Frank, nicht nur Hausarzt, sondern auch leidenschaftlicher Bauer, ignorierte die bereits angedeutete Drohgebärde von Dragon gekonnt und musste sich so über einen Tritt von meinem Wallach nicht wundern. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht wirklich, was dieses Pony dazu bewegt hatte, so zu reagieren. Später wurde – wie bereits erwähnt – klar, dass er ein Problem mit Männern hat. Wie auch immer – willkommen nun im Jahre 1998.

Die Silvesternacht überstanden wir – wie schon das Jahr zuvor – ohne besondere Vorkommnisse mit Dragon im Stall. Schon zu Beginn des Jahres wurden zahlreiche Pläne betreffend meiner reiterlichen Karriere geschmiedet. Dadurch, dass Dragon als robustes Offenstallpony gehalten wurde, war es gar nicht so einfach, die artgerechte Haltung mit dem angestrebten Trainingsprogramm für meine kommende, wohlgemerkt erste, Turniersaison zu vereinbaren. Er hatte einfach soviel Winterfell und nach jeder Reitstunde kam er so ins Schwitzen, dass ich bei den kalten Temperaturen – ganz der Jahreszeit entsprechend – Stunden brauchte, um ihn wieder trocken zu bekommen. Diese Schwierigkeit in den Griff zu bekommen, war nahezu unmöglich und so verzichteten wir in den ersten Monaten des neuen Jahres auf etliche Reitstunden. Unser Trainingszustand ließ natürlich dementsprechend zu wünschen übrig. Dabei hatten wir uns doch schon für das Turnier am 29. und 30. Mai 1998 beim Reit- und Fahrverein Ostiem angemeldet. Inzwischen war dies nämlich der Verein, dem ich beigetreten war, um an Turnieren teilnehmen zu können. Ausschlaggebend für den Entschluss, mein reiterliches Können ausgerechnet diesem Verein zur Verfügung zu stellen, war meine damalige Klassenkameradin und Gelegenheitsfreundin Raphaela. Sie ritt zwar auch, war allerdings in Bezug auf Pferde nicht ansatzweise so begeisterungsfähig – andere Leute reden hier auch wohl eher von durchgeknallt – wie ich und hatte ein Pflegepferd in diesem Stall namens Monty. Monty war natürlich ein „richtiges Pferd“ und nicht nur so ein „zotteliges Pony“ wie Dragon. Gelegentlich kam es durchaus zu derart negativen Äußerungen über meinen Wallach, aber im Laufe der Zeit stellte sich doch immer wieder heraus, dass die Menschen, die so über Dragon und mich redeten und urteilten, nur neidisch waren. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hasste ich Reitställe und Reitvereine. Jeder weiß immer alles besser, hat die neueren Klamotten, elegantere Pferde und alles, was sonst noch so zum Reitsport gehört. Einfach grauenvoll und unerträglich solche Tratschereien und Lästereien. Bei Schulz im Stall machte ich bereits die ersten Erfahrungen mit „Ich rede lieber hinter deinem Rücken“ über dich. Man muss sich mal vorstellen, dass so eine schlichte und überhaupt nicht wirklich erwähnenswerte Sache wie Hufe auskratzen plötzlich zum heiß umstrittenen Problem werden konnte. Folgende Situation: Ich stand mit Dragon in der Stallgasse, um ihn zu putzen, und kratzte ihm die Hufe aus. Soweit so gut. Keine besonderen Vorkommnisse. Zwei Stunden später, kam Herr Schulz, der wohlgemerkt wenig bis gar nichts mit dem eigentlichen Reitbetrieb seiner Frau zutun hatte, zu mir und meinte, mir allen Ernstes erklären zu müssen, wie man die Hufe bei einem Pferd auskratzt, wobei er noch nicht einmal gesehen hatte, wie ich bei solchen Aktivitäten vorgegangen war. Freundlich und höflich gab ich ihm genau dies auch zu verstehen, als sich herausstellte, dass Karl, ein Möchtegern-Pferdebesitzer aus dem Stall, zufällig beobachtet hatte, wie ich mit meinem Pferd umging beziehungsweise die Hufe auskratzte, dies wohl nicht seinen Vorstellungen entsprach, und er der Ansicht war, umgehend „Beschwerde“ beim Hofchef einlegen zu müssen, der seine Pflicht im Endeffekt auch sehr gewissenhaft nahm und mich – wie gesagt – zwei Stunden später mit dem unerhörten Vorfall konfrontierte. Selbst im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Damals, mit meinen, zu dem Zeitpunkt gerade einmal elf Jahren, war mir wohl eher zum Weinen. Aber ich überlebte auch diese Situation ohne größeren Schaden. Eigentlich denke ich, dass unter anderem genau solche Vorfälle und all die anderen, die im Laufe der Jahre mittlerweile schon dazu kamen und noch dazu kommen sollten, dazu beitrugen und beitragen sollten, mich zu einer doch sehr starken Persönlichkeit mit eigenem Willen und Durchsetzungsvermögen zu entwickeln. Und gelegentlich färbte Dragons unerschütterliches Selbstbewusstsein ja schon das ein oder andere Mal auf mich ab.

Unser erstes richtiges Turnier. Plötzlich hatten wir Sonntag, den 30. Mai 1998, und irgendwie kam alles – obwohl ich meinte gut organisiert und vorbereitet zu sein – unerwartet und schnell. Genannt hatte ich mich für eine E-Dressur, die zu zweit geritten werden sollte. Die Prüfung war morgens für sieben Uhr ausgeschrieben. Sehr früh – Andere würden vielleicht sagen mitten in der Nacht – und so hatte ich das Gefühl, überhaupt kein Auge zugemacht zu haben. Erst einmal war ich natürlich total aufgeregt, denn bei einem solchen Turnier konnte mir meine bereits angesammelte Erfahrung in puncto Rennreiterei, bei der ich letztendlich aber ja auch von Jahr zu Jahr mit in etwa der gleichbleibenden Nervosität oder sogar einer Steigerung dieser zu kämpfen hatte, nicht ansatzweise weiterhelfen. Ganz im Gegenteil, denn eigentlich wusste ich gar nicht, was mich erwarten würde. Claudia gab bei unseren Vorbereitungen selbstverständlich das Beste. Aber begleitet und seelischen Beistand am großen Tag meines Auftritts – es muss ihr wohl doch einfach viel zu früh am Morgen gewesen sein – hat sie Dragon und mich nicht. Wenn ich mich nach all den Jahren richtig erinnere, bin ich nach meinem nicht vorhandenen Schönheitsschlaf in etwa gegen vier Uhr, also tatsächlich mitten in der Nacht, aufgestanden oder, um ganz ehrlich zu sein und bei der Wahrheit zu bleiben, von Mami geweckt worden, um nach einem Frühstück – denn ohne mindestens einen Toast und eine Tasse Milch durfte ich das Haus nicht verlassen, Mami hatte in solchen Dingen leider immer ziemlich strenge Regeln – direkt mit ansteigender Motivation zum Stall zu düsen und mein edles Sportpony für unsere neue Herausforderung, das Turnierreiten, auf Hochglanz zu bringen. Dazu gehörte um diese Tages- beziehungsweise Nachtzeit zwar kein Waschprogramm, aber dafür eine ausgiebige Putzaktion mit Einflechten Dragons langer schöner und lockiger Mähne. Seine Mähne war übrigens auch sein beziehungsweise mein ganzer Stolz. Da sie, zumindest zu jenem Zeitpunkt, noch sehr dick und üppig war, entschied ich mich für einen doch relativ einfachen und unkomplizierten Mozartzopf. Für mehr wäre letztendlich auch keine Zeit gewesen. Statt Wasserschlauch und Shampoo musste mir in der ganzen Eile das gut bewährte Fellglanzspray für den letzten Kick beziehungsweise den Feinschliff weiterhelfen. Dragon war über meine allgemein verbreitete Hektik etwas verwundert, kannte mich jedoch schon lange genug, um zu wissen, dass irgendetwas auf ihn zukommen würde. Glücklicherweise hatte ich ja immer schon ein sehr unternehmungslustiges Pony, sodass er sich, obwohl ich mit dem bevorstehenden Turnier seinen kompletten Biorhythmus drohte durcheinander zu bringen, zu jeder Schandtat überreden ließ. Mittlerweile war es 5:30 Uhr und wirklich Zeit aufzubrechen. Auch dies war für Dragon selbstverständlich, denn Anhänger fahren war einfach der Hit für ihn. Schließlich musste man jedes gefahrene Stück nicht selbst laufen. Zumindest das oder so etwas in dieser Art musste er sich wohl jedes Mal bei einem offen stehenden Pferdeanhänger gedacht haben, denn meistens oder eigentlich immer war er gar nicht mehr zu bremsen und stürmte schon freiwillig die Laderampe hoch. Jedenfalls, wenn der Hänger seinen Vorstellungen von Komfort und guter Ausstattung entsprach. Ungefähr nach 20 Minuten waren wir auf einem großen, nassen und matschigen Anhängerplatz gelandet, sodass ich Dragon ausladen, satteln und auftrensen, mich bei der Meldestelle melden und mein Pony warm reiten konnte. Selbst jetzt, in genau diesem Moment, weiß ich überhaupt nicht, wie ich diese Anspannung und Nervosität überleben konnte. Bei dem Gedanken an den Start unserer Turniersaison bekomme ich nach wie vor Bauchschmerzen. Das Warm-up meines Vierbeiners war nicht ansatzweise so, wie ich es mir vorgestellt hatte. So viele Pferde und Leute auf einem so kleinen Abreiteplatz. Da bekommt doch jeder normale Mensch und natürlich auch jedes normale Pferd Beklemmungsängste. Und dann dieses Fachchinesisch unter Pferdebesitzern. „Mein Pferd ist aber heute wieder guckig.“ Im Laufe unserer Turniererfahrungen stellte ich jedoch fest, dass solche Ausdrücke über die Nervosität eines Pferdes keine Seltenheit waren. „Guckig“ – was ist das überhaupt für ein Wort? Hat nicht jedes Tier– in diesem Fall jedes Pferd oder Pony, das Recht – mal rechts oder links zu gucken? Man muss doch wissen, wo man ist und was passiert!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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